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Wendekreis des Krebses

Wendekreis des Krebses

Titel: Wendekreis des Krebses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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für einen Schriftsteller! Wozu braucht ein Kerl Arme und Beine? Zum Schreiben braucht er keine Arme und Beine. Er braucht Sicherheit, Frieden, Geborgenheit. Zu schade, daß alle diese in Krankenstühlen paradierenden Helden keine Schriftsteller sind. Wenn man nur sicher wäre, wenn man in den Krieg zieht, daß einem nur die Beine weggeschossen werden … wenn man dessen sicher sein könnte, dann soll’s von mir aus morgen Krieg geben. Ich gäbe keinen Pfifferling für die Orden – sie könnten die Orden behalten. Alles, was ich möchte, ist ein guter Krankenstuhl und drei Mahlzeiten am Tag. Dann bekämen sie etwas von mir zu lesen, diese Pinte!»
    Am nächsten Tag gehe ich um halb zwei zu Van Norden. Es ist sein freier Tag, oder richtiger sein freier Abend. Er hat bei Carl hinterlassen, ich sollte ihm heute beim Umzug helfen.
    Ich finde ihn in ungewöhnlich deprimiertem Zustand. Er hat eine ganze Nacht kein Auge zugetan, versichert er mir. Etwas beschäftigt ihn, zehrt an ihm. Es dauert nicht lange, bis ich herausfinde, was es ist. Er hat ungeduldig auf mich gewartet, um es loszuwerden.
    «Dieser Kerl», fängt er an, auf Carl gemünzt, «dieser Kerl ist ein Künstler. Er beschreibt jede Einzelheit ins Kleinste. Er hat es mir mit solcher Genauigkeit erzählt, daß ich weiß, es ist alles eine gottverdammte Lüge … und doch kann ich es nicht aus dem Sinn bringen. Du weißt, wie mein Hirn arbeitet!»
    Er unterbricht sich, um zu fragen, ob Carl mir die ganze Geschichte erzählt hat. Er hegt nicht den geringsten Zweifel, daß Carl die Sache mir so und ihm ganz anders dargestellt haben könnte. Er scheint zu glauben, die Geschichte sei absichtlich dazu erfunden worden, ihn zu quälen. Er scheint nicht so sehr darüber ungehalten, daß sie ein Lügengespinst ist. Es sind ‹die Bilder›, wie er sagt, die Carl in ihm hervorgerufen hat, was ihn fertigmacht. Die Bilder sind echt, auch wenn die ganze Geschichte erlogen ist. Und außerdem ist die Tatsache, daß wirklich eine reiche Pritsche aufgetaucht ist und Carl ihr wirklich einen Besuch abgestattet hat, nicht zu leugnen. Was sich wirklich zutrug, ist nebensächlich. Er nimmt mit Sicherheit an, daß Carl sie abgestaubt hat. Aber was ihn zur Verzweiflung treibt, ist der Gedanke, daß Carls Schilderung möglich gewesen sein könnte.
    «Das sieht dem Burschen ganz ähnlich», meint er, «mir zu erzählen, er habe es ihr sechs- oder siebenmal besorgt. Ich weiß, das ist Mist, und ich mache mir nicht viel daraus, wenn er mir aber erzählt, daß sie einen Wagen nahm und ihn hinausfuhr ins Bois und sie den Pelzmantel des Ehemannes als Decke benutzten, so geht das zu weit. Ich vermute, er hat dir von dem Chauffeur erzählt, der achtungsvoll wartete … und paß auf, hat er dir erzählt, daß der Motor die ganze Zeit lief? Mein Gott, er malte das wundervoll aus. Es sieht ihm ganz ähnlich, an solche Einzelheit zu denken … es ist eine von den kleinen Einzelheiten, die eine Sache psychologisch glaubwürdig machen … man bringt sie nachher nicht mehr aus dem Kopf. Und er erzählte es mir so flüssig, so natürlich … Ich frage mich, ob er es sich vorher ausgedacht hat, oder ob es einfach so, spontan, aus ihm herauskam? Er ist ein so geschickter, kleiner Lügner, daß man ihn nicht abschütteln kann … es ist, wie wenn einer einem einen Brief schreibt, eines dieser blumenreichen Wortgebinde, die er über Nacht zusammenbaut. Ich verstehe nicht, wie ein Mensch solche Briefe schreiben kann … begreife die Mentalität nicht, die dahintersteckt … es ist eine Form der Onanie … was glaubst du?»
    Aber ehe ich noch meine Meinung äußern oder ihm ins Gesicht lachen kann, fährt Van Norden in seinem Monolog fort.
    «Hör zu, ich nehme an, er hat dir alles erzählt … hat er dir erzählt, wie er im Mondlicht auf dem Balkon stand und sie küßte? Das klingt banal, wenn man es wiederholt, aber wie dieser Bursche das beschreibt … Ich kann den kleinen Pint geradezu dort stehen sehen mit der Frau in seinen Armen, und schon schreibt er ihr einen neuen Brief, noch so einen blumenreichen über das Dächermeer und all das Zeug, das er von seinen französischen Schriftstellern stiehlt. Dieser Kerl, das habe ich herausgefunden, sagt nie auch nur einen Satz, der von ihm stammt. Man braucht so etwas wie einen Schlüssel, muß herausfinden, wen er in letzter Zeit gelesen hat, und das ist schwer, weil er so verdammt verschwiegen ist. Weißt du, wenn ich nicht wüßte, daß du mit ihm

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