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Wendekreis des Krebses

Wendekreis des Krebses

Titel: Wendekreis des Krebses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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machte, wie ihr Frisiermantel raschelte, als sie zur Begrüßung auf ihn zukam – erzählt mir alles, nur nicht das, was ich hören will.
    Es war gegen acht Uhr, als er sie aufsuchte. Um halb neun wurde er nervös beim Gedanken ans Büro. «Es war gegen neun Uhr, als ich dich anrief, stimmt’s?» fragt er.
    «Ja, so ungefähr.»
    «Ich war nervös, verstehst du …»
    «Ich kenne das. Erzähl weiter …»
    Ich weiß nicht, ob ich ihm glauben soll oder nicht, besonders nach diesen Briefen, die wir zusammenbrauten. Ich weiß nicht einmal, ob ich recht gehört habe, denn was er mir erzählt, klingt einfach phantastisch. Und doch klingt es auch wahr, wenn man weiß, was für ein Kerl er ist. Und dann erinnere ich mich seiner Stimme am Telefon, dieser merkwürdigen Mischung von Schreck und Jubel. Aber warum frohlockt er jetzt nicht mehr? Er lächelt die ganze Zeit, lächelt wie eine rosige kleine Wanze, die sich vollgesoffen hat. «Es war neun Uhr», sagt er noch einmal, «als ich dich anrief, stimmt’s?» Ich nicke müde mit dem Kopf. Ja, es war neun Uhr. Er ist jetzt sicher, daß es neun Uhr war, denn er erinnert sich, auf seine Uhr geschaut zu haben. Jedenfalls, als er wieder auf die Uhr sah, war es zehn Uhr. Um zehn Uhr lag sie auf dem Diwan, ihre Brüste in den Händen. So erzählt er es mir – tropfenweise. Um elf Uhr war alles verabredet. Sie wollten miteinander nach Borneo durchbrennen. Scheiß auf den Mann! Sie hat ihn sowieso nie geliebt. Sie hätte nie den ersten Brief geschrieben, wenn ihr Mann nicht alt und leidenschaftslos gewesen wäre. «Und dann sagt sie zu mir: ‹Aber hör zu, mein Lieber, woher willst du wissen, daß du mich nicht satt bekommst?›»
    Darüber breche ich in Lachen aus. Es klingt übertrieben für mich, ich kann mir nicht helfen.
    «Und was hast du gesagt?»
    «Was hast du erwartet, daß ich sagen würde? Ich sagte: wie könnte dich jemand je satt bekommen?»
    Und dann beschreibt er mir, was danach passierte, wie er sich hinunterbeugte und ihre Brüste küßte, und nachdem er sie glühend geküßt hatte, stopfte er sie in ihre Corsage – oder wie immer man diese Dinger nennt – zurück. Und danach ein weiteres Glas Champagner.
    Gegen Mitternacht kommt der garçon mit Bier, belegten Brötchen – mit Kaviar-Brötchen. Und die ganze Zeit, erzählt er weiter, habe er nur das eine Verlangen gehabt, sein Wasser abzuschlagen. Er hatte einen Ständer, aber er verging wieder. Die ganze Zeit drohte seine Blase zu zerspringen, aber als der kleine schlaue Pint, der er ist, glaubt er, die Situation verlange Feingefühl.
    Um halb zwei Uhr nachts ist sie dafür, einen Wagen zu nehmen und eine Fahrt durchs Bois zu machen. Er hat nur einen Gedanken im Kopf – wie kann ich mein Wasser abschlagen. «Ich liebe dich, ich bete dich an», sagt er. «Ich gehe, wohin du willst: nach Stambul, Singapur, Honolulu. Nur jetzt muß ich gehen … Es ist spät geworden.»
    Er erzählt mir all das in seinem schäbigen, kleinen Zimmer, während die Sonne hereinströmt und die Vögel wie verrückt zwitschern. Ich weiß noch nicht, ob sie schön war oder nicht. Er weiß es selbst nicht, der Dummkopf. Er glaubt eher, sie war es nicht. Das Zimmer war dunkel, und außerdem kam der Champagner hinzu, und seine Nerven waren völlig überreizt.
    «Aber du mußt doch einigermaßen über sie Bescheid wissen – wenn das Ganze nicht eine verdammte Lüge ist!»
    «Wart einen Augenblick», sagt er. «Wart … laß mich nachdenken. Nein, sie war nicht schön. Jetzt bin ich dessen sicher. Sie hatte eine graue Haarsträhne über der Stirn, dessen entsinne ich mich. Aber das wäre nicht so schlimm gewesen, ich hatte es fast vergessen, wie du siehst. Nein, es waren ihre Arme … sie waren dünn … dünn und hölzern.» Er beginnt hin und her zu gehen. Plötzlich bleibt er mit einem Ruck stehen. «Wenn sie nur zehn Jahre jünger wäre!» ruft er aus. «Wenn sie zehn Jahre jünger wäre, würde ich vielleicht die graue Haarsträhne … und sogar die hölzernen Arme übersehen. Aber sie ist zu alt. Siehst du, bei einer solchen Pritsche zählt jetzt jedes Jahr. Sie ist nächstes Jahr nicht nur um ein Jahr älter – sondern um zehn Jahre. Noch ein Jahr weiter, und sie ist zwanzig Jahre älter. Und ich werde die ganze Zeit jünger, wenigstens für weitere fünf Jahre.»
    «Aber wie endete es?» unterbreche ich.
    «Das ist’s ja gerade … es endete nicht. Ich versprach, am Dienstag gegen fünf Uhr zu ihr zu kommen. Das ist schlimm,

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