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Wendekreis des Krebses

Wendekreis des Krebses

Titel: Wendekreis des Krebses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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Schwingtür eintrat. Und eine andere Art Parfum, nicht nur eine Elle weit zu riechen, sondern allgegenwärtig, eine Art Schweiß- und Patschouligeruch, der von den Maschinen auszugehen schien. Wenn man geladen hereinkam, wie ich es gewöhnlich tat, war es, als stürze man plötzlich auf eine niedere Höhe ab. Gewöhnlich ging ich in Luftlinie auf den Lokus, das brachte mich wieder einigermaßen zu mir. Hier war es ein wenig kühler, oder das Geräusch rinnenden Wassers ließ es wenigstens so scheinen. Der Lokus war immer eine kalte Dusche. Er war wirklich. Ehe man hineinkam, mußte man an einer Reihe von Franzosen vorbei, die sich aufknöpften. Puh! Wie diese Teufel stanken! Und sie wurden noch gut dafür bezahlt. Aber da waren sie, ausgezogen, manche in langen Unterhosen, andere mit Bärten, die meisten bleiche, magere Ratten mit Blei in den Adern. Im Lokus konnte man ein Inventar ihrer müßigen Gedanken aufnehmen. Die Wände waren mit Zeichnungen und Inschriften bedeckt, sämtlich scherzhaft obszön, leicht verständlich und im großen ganzen recht fidel und sympathisch. Es mußte eine Leiter nötig gewesen sein, um manche Stellen zu erreichen, aber ich glaube, es war der Mühe wert, selbst wenn man es nur vom psychologischen Standpunkt betrachtete. Manchmal, während ich dastand und mein Wasser abschlug, fragte ich mich, was für einen Eindruck es wohl auf jene schicken Damen machen würde, die ich beobachtete, wie sie in den schönen Toiletten an den Champs-Élysées ein und aus gingen. Ich fragte mich, ob sie ihr Gefieder spreizen würden, wenn sie sehen könnten, was man hier von einem Stück Arsch hielt. Kein Zweifel, in ihrer Welt war alles Samt und Seide – oder sie brachten einem diesen Glauben durch die feinen Düfte bei, die von ihnen ausgingen, wenn sie an einem vorbeirauschten. Manche von ihnen waren auch nicht immer so feine Damen gewesen; manche rauschten nur so hin und her, um für ihr Gewerbe Reklame zu machen. Und vielleicht, wenn sie allein waren, wenn sie in der Abgeschlossenheit ihrer Boudoirs laut sprachen, vielleicht kamen dann auch merkwürdige Dinge über ihre Lippen; denn in dieser Welt ist, ganz wie in jeder anderen, der größere Teil dessen, was so geschieht, einfach Dreck und Schmutz, ekelhaft wie jede Abfalltonne, nur haben sie das Glück, die Tonne mit einem Deckel zudecken zu können.
    Wie gesagt, dieses nachmittägliche Leben mit Tania bekam mir nicht übel. Dann und wann hatte ich zu viel geladen und mußte den Finger in den Hals stecken, denn es fällt schwer, Korrektur zu lesen, wenn man nicht alle fünf Sinne beisammen hat. Es erfordert mehr Konzentration, ein fehlendes Komma zu entdecken, als eine kurze Zusammenfassung von Nietzsches Philosophie zu geben. Man kann manchmal geistreich sein, wenn man betrunken ist, aber sprühender Geist ist in der Korrekturabteilung unangebracht. Daten, Abstände, Strichpunkte, das sind die Dinge, auf die es ankommt. Und das sind die am schwierigsten festzuhaltenden Dinge, wenn dein Geist in heller Erregung lodert. Dann und wann machte ich böse Schnitzer, und wenn ich nicht gelernt hätte, dem Chef hinten reinzukriechen, wäre ich entlassen worden, das ist sicher. Ich erhielt sogar eines Tages einen Brief von dem Großmogul oben, einem Kerl, den ich nie auch nur zu Gesicht bekam, so hoch droben war er, und zwischen ein paar sarkastischen Zeilen über meine mehr als gewöhnliche Intelligenz gab er mir recht deutlich zu verstehen, daß ich besser daran täte, meinen Platz zu erkennen und mich entsprechend zu verhalten, oder ich hätte die Folgen zu tragen. Offen gesagt, das erschreckte mich zu Tode. Danach verwendete ich nie mehr ein vielsilbiges Wort im Gespräch, in der Tat machte ich die ganze Nacht hindurch kaum je meine Klappe auf. Ich spielte den hochgradig Schwachsinnigen, und das war genau, was von uns verlangt wurde. Dann und wann, um dem Chef gewissermaßen zu schmeicheln, ging ich zu ihm hin und fragte ihn höflich, was wohl dieses oder jenes Wort bedeuten mochte. Das hatte er gerne. Er war eine Art von Wörterbuch und Zeittabelle, dieser Kerl. Ganz gleich, wieviel Bier er während der Pause vertilgte – und er legte auch seine eigenen Privatpausen ein, um nachzusehen, wie der Laden lief –, man konnte ihn nie mit einem Datum oder einer Definition in Verlegenheit bringen. Er war für seine Aufgabe geboren. Mein einziger Kummer war, daß ich zu viel wußte. Es sickerte dann und wann durch, trotz all meiner Vorsichtsmaßnahmen. Wenn

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