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Wendekreis des Krebses

Wendekreis des Krebses

Titel: Wendekreis des Krebses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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wirklich, die kleine Viper – dennoch konnte er sich nicht von mir fernhalten. Er holte sich regelmäßig seine kleine Portion Beschimpfungen bei mir ab – das war für ihn wie ein Stärkungsmittel. Am Anfang, das ist wahr, verfuhr ich schonend mit ihm. Schließlich bezahlte er mich dafür, daß ich ihm zuhörte. Und obwohl ich nie viel Mitgefühl an den Tag legte, verstand ich doch zu schweigen, wenn es eine Mahlzeit und ein wenig Taschengeld einbrachte. Nach einer Weile jedoch, als ich sah, was für ein Masochist er war, erlaubte ich mir dann und wann, ihm ins Gesicht zu lachen. Das wirkte auf ihn wie ein Peitschenhieb, es ließ den Kummer und die Seelenqual mit erneuter Macht hervorbrechen. Und vielleicht wäre alles zwischen uns gut gegangen, wenn er es nicht für seine Pflicht gehalten hätte, Tania zu beschützen. Aber Tania war Jüdin, und das warf eine moralische Frage auf. Er wollte, daß ich mich an Mademoiselle Claude halte, für die er, wie ich zugeben muß, eine echte Zuneigung empfand. Er gab mir sogar gelegentlich Geld, um mit ihr zu schlafen. Bis er merkte, daß ich ein hoffnungsloser Wüstling war.
    Ich erwähne Tania jetzt, weil sie soeben aus Rußland zurückgekommen ist – gerade vor ein paar Tagen. Sylvester blieb da, um eine Stellung zu erschleichen. Er hat die Literatur ganz aufgegeben. Er hat sich dem neuen Utopia verschrieben. Tania will, daß ich mit ihr dorthin zurückkehre, am liebsten auf die Krim, und ein neues Leben beginne. Wir veranstalteten unlängst ein schönes Trinkgelage in Carls Zimmer, bei dem wir solche Möglichkeiten besprachen. Ich wollte wissen, was ich dort anfangen könnte, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen – ob ich zum Beispiel Korrektor werden könnte. Sie sagte, darüber brauche ich mir keine Sorgen zu machen – man würde eine Arbeit für mich finden, wenn ich nur ernsthaft und anständig bliebe. Ich versuchte ernsthaft dreinzuschauen, aber es gelang mir nur, pathetisch auszusehen. Man will in Rußland keine traurigen Gesichter sehen; man will, daß man heiter, begeistert, frohen Herzens, optimistisch ist. Es klang mir sehr nach Amerika. Ich wurde nicht mit dieser Art von Begeisterung geboren. Ich sagte es ihr natürlich nicht, aber insgeheim betete ich, in Frieden gelassen zu werden, wieder in meinen kleinen Winkel zurückgehen und dort bleiben zu können, bis der Krieg ausbricht. Dieser ganze Hokuspokus mit Rußland beunruhigte mich ein bißchen. Tania geriet so in Erregung darüber, daß wir fast ein halbes Dutzend Flaschen vin ordinaire leerten. Carl sprang herum wie eine Kakerlake. Er hat gerade genug von einem Juden in sich, um über eine Idee wie Rußland den Kopf zu verlieren. Nichts anderes kam in Frage, als uns auf der Stelle miteinander zu verheiraten. «Mach dich ran!» sagt er. «Du hast nichts zu verlieren!» Und dann schützt er eine kleine Besorgung vor, damit wir rasch Gelegenheit haben. Und obwohl sie, Tania, recht einverstanden war, hatte sich doch diese Rußlandgeschichte so sehr in ihrem Schädel festgesetzt, daß sie die Zwischenzeit damit vertrödelte, an meinem Ohr zu knabbern, was mich einigermaßen verdrießlich und unbehaglich machte. Jedenfalls mußten wir daran denken, zu essen und ins Büro zu fahren, also verfrachteten wir uns am Boulevard Edgar-Quinet, nur eben einen Steinwurf vom Friedhof entfernt, in ein Taxi und sausten ab. Es war eine schöne Stunde, um in einem offenen Wagen durch Paris zu rollen, und der in unseren Bäuchen schaukelnde Wein ließ alles sogar noch reizvoller als gewöhnlich erscheinen. Carl saß uns gegenüber auf dem Klappsitz, mit einem Gesicht, rot wie eine Runkelrübe. Er war glücklich, der arme Hund, beim Gedanken an das glorreiche neue Leben, das er auf der anderen Seite von Europa führen würde. Und gleichzeitig war ihm auch ein wenig wehmütig zumute, das konnte ich sehen. Eigentlich wollte er Paris gar nicht verlassen, so wenig wie ich. Paris war nicht gut zu ihm gewesen, nicht besser als zu mir oder zu sonst jemand, was das betrifft, aber wenn man hier gelitten und geduldet hat, dann ergreift Paris von einem Besitz, hält einen sozusagen am Sack fest, wie eine liebestolle Hure, die lieber sterben möchte, als einen loslassen. So sah es für ihn aus, das konnte ich sehen. Als wir über die Seine fuhren, lag ein breites, törichtes Grinsen auf seinem Gesicht, und er blickte die Gebäude und Denkmäler an, als sähe er sie in einem Traum. Auch für mich war es wie ein Traum: ich hatte die Hand

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