Wendland & Adrian 01 - Schattenwölfe
weiß, das ist ein ungewöhnliches Eingeständnis für einen Wissenschaftler, aber ich bin in den letzten Monaten sehr, nun ja, spirituell geworden. Lange Zeit war ich felsenfest davon überzeugt, daß es so etwas wie den Geist überhaupt nicht gibt, daß das, was wir als unser Bewußtsein erleben, unsere Gedanken und Gefühle, lediglich chemische Reaktionen im Gehirn sind, mehr nicht. Aber vielleicht existiert noch eine andere Dimension, eine Art spiritueller, jenseitiger Bereich. Vielleicht ist der Geist gar nicht an den Körper gebunden, sondern existiert in dieser spirituellen Dimension. Vielleicht komnen unsere Gedanken und Gefühle von dort, und das Ge-hirn ist lediglich eine Art Empfangsstation. Die moderne Teilchenphysik hält die Existenz solcher anderer Dimensionen für möglich...“
Bei den letzten Sätzen hatte seine Stimme unsicher geklungen. Jetzt kaute er auf seiner Unterlippe wie ein Schüler angesichts einer schwierigen Mathematikauf-gabe.
Mein Gott, was für ein Gerede, dachte Susanne und sagte: „Tut mir leid, in solche Regionen kann ich Ihnen nicht folgen. Dazu bin ich wohl doch zu nüchtern. Wenn ich Sie also richtig verstehe, wissen Sie überhaupt nicht, was Megatonin im menschlichen Gehirn anrichtet?“
Schlei zuckte resigniert die Achseln. „Nehmen Sie Roland Scholl. Sie waren doch bei ihm. Was ist dieses Etwas, vor dem er sich so fürchtet? Zunächst hatte ich die Theorie, daß es sich um seine eigenen abgespalteten Gefühle handelt. Scholl hatte eine ähnliche Mentalität wie Gablenz, hielt sich ganz und gar für einen rationalen Forscher, kühl und logisch, betrachtete Gefühle als störend und überflüssig. Dem wissenschaftlichen Weltbild zufolge ist das Universum seelen- und sinnlos. Der Glaube an ein solches Weltbild kann extreme existentielle Angst auslösen, die dann meistens ins Unterbewußtsein verdrängt wird. Möglicherweise verstärkte Megatonin bei Scholl diese Angst und ließ sie als ungeheure Bedrohung erscheinen, vor der er dann buchstäblich in den Wahnsinn flüchtete.“
„Aber jetzt zweifeln Sie an dieser Theorie?“ „Ich bin mir nicht sicher. Angenommen, es gibt diese jenseitige, spirituelle Dimension wirklich und Megatonin reißt das Tor zu dieser Dimension, das normalerweise geschlossen oder höchstens einen Spaltbreit geöffnet ist, mit einem Mal weit auf - wissen wir, was uns dort erwartet? Engel? Dämonen? Oder beides? Vielleicht gibt es ja gute Gründe dafür, dieses Tor geschlossen zu halten...“
Susanne winkte ab. „Ich bitte Sie, Professor! Bleiben Sie besser bei Ihrer ersten Theorie, die klingt wenigstens halbwegs plausibel.“ Andererseits hatte Gablenz‘ Amoklauf in der Eifel tatsächlich etwas ... Dämonisches . Rasch schob sie den Gedanken beiseite und fragte: „Michael Conrad -was passierte mit dem?“
Schlei seufzte. „Ach, Conrad! An ihm konnte man sehen, daß Megatonin offenbar bei jedem Menschen anders wirkt, entsprechend seinem Charakter und seiner emotionalen Verfassung. Conrad war viel weicher und sensibler als Scholl. Er drehte nicht sofort durch, sondern begann tatsächlich paranormale Fähigkeiten zu entwickeln. Bei Telepathietests schnitt er so gut ab, daß er Kettler und Roloff richtig unheimlich wurde. Dann fing er an größenwahnsinnig zu werden, auf eine, nun ja, recht sympathische Weise: Er hielt sich für einen Messias, dessen Bestimmung es war, die Menschen vor der drohenden ökologischen Katastrophe zu warnen. Er wollte unbedingt Zeitungsinterviews geben und im Fernsehen auftreten. Dadurch entwickelte er sich für sie zu einem untragbaren Risiko. Kettler bekam den Auftrag, ihn zu ermorden.“ Er lachte bitter. „Es ist nicht so leicht, einen Telepathen umzubringen, aber Kettler schaffte es. Er ist wirklich ein Killer allererster Güte. Sie haben es als Autounfall getarnt.“
„Dieser Kettler ist tatsächlich der Kriminaldirektor Kettler - bullige Gestalt, breites, derbes Gesicht?“ Schlei nickte stumm.
Entweder war Schlei vollkommen paranoid, oder es ging in Deutschland offenbar zu wie in einer lateinamerikanischen Bananenrepublik. Hatte der GENOTEC-Konzern den Staat kurzerhand aufgekauft? „Und der MSD?“ fragte sie.
„Das ist General Enderles supergeheime Truppe. Militärischer Sicherheitsdienst, ein ziemlich dubioser Verein, der angeblich so geheim ist, daß noch nicht einmal diejenigen davon wissen, deren Aufgabe es eigentlich sein sollte, die Geheimdienste zu kontrollieren. Fragen Sie mich nicht, wie so
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