Wendland & Adrian 01 - Schattenwölfe
aber sie hatte nicht den Eindruck, daß er sie anlog. Vermutlich waren seine Beweggründe wirklich uneigennützig gewesen, wenigstens zum Teil. Aber dann war da dieses unverantwortliche Experiment mit den beiden Assistenten ... „Wenn Ihre Motive so edel waren, wieso haben Sie dann Roland Scholl und Michael Conrad einem solchen Risiko ausgesetzt?“ fragte Susanne. „Ich war bei Scholl. Ich weiß, in welchem Zustand er ist. Und dann Conrads dubioser Autounfall...“
Schlei hob abwehrend die Hände. „Für dieses Experiment tragen Gablenz und Roloff die Verantwortung! Ich habe ihnen damals dringend abgeraten. Ich hielt es für viel zu früh. Ein zu hohes Risiko!“
„Aber Roloff drängte auf rasche Ergebnisse?“
„Genau.“
Er schaute wieder ängstlich zum Haus hinüber. Da Kettlers Leute noch immer nicht aufgetaucht waren, begann Susanne zu hoffen, daß der Kriminaldirektor vielleicht gar nicht daran interessiert war, sie hier bei Schlei zu ertappen. Vielleicht würde man sie statt dessen am Montagmorgen zur Hinrichtung in Antweilers Büro zitieren. Oder Schlei übertrieb ganz einfach, was Kettlers Gefährlichkeit anging.
„Also, ich habe Gablenz wirklich vor dem Experiment mit Scholl und Conrad gewarnt, das müssen Sie mir glauben“, sagte Schlei beinahe flehend. „Ich hätte es vorgezogen, zunächst einmal mit Menschenaffen zu experimentieren, die uns von ihrer Gehirnstruktur her ähnlicher sind als die Ratten, Meerschweinchen und Katzen, an denen wir Megatonin zuvor erprobt hatten. Aber dazu fehlte Gablenz und Roloff die Geduld.“
Der Kugelschreiber, mit dem er nervös auf seiner geöffneten linken Hand herumgeklopft hatte, fiel ihm auf den Boden. Er bückte sich und hob ihn wieder auf. „Verdammt! Es hat viel zu lange gedauert, bis ich endlich kapierte, daß es Roloff gar nicht um die Verwirklichung meiner Vision ging. Megatonin als Heilmittel, um der breiten Masse der Menschen zur Erleuchtung zu verhelfen und so eine neue, friedliche, ökologische Gesellschaft zu erschaffen - das sind für die Menschen seines Schlages nur naive, idealistische Träumereien.“ Er lachte kurz und bitter auf, schüttelte den Kopf. „Nein, GENOTEC ging, geht es um etwas ganz anderes: absolute Kontrolle.“
Genau das hatte Scholl auch gesagt. Absolute Kontrolle
„Ein Konzern, der nach politischer Macht strebt?“ fragte Susanne.
„Wissen Sie, moderne internationale Konzerne sind äußerts machthungrige Gebilde. Um einen Konzern ständig wachsen zu lassen und die Aktionäre bei Laune zu halten, muß das Management sehr viele Faktoren kontrollieren: die Politiker, damit die Profite des Konzerns nicht durch Steuern, Abgaben oder hinderliche Vorschriften beeinträchtigt werden, die möglichen Konkurrenten auf dem angeblich freien Markt, und die Konsumenten, die die Produkte des Konzerns kaufen sollten. Das Schiksal des Managements hängt davon ab, daß es die Profite des Konzerns maximiert. Je besser man also Politiker, Konkurrenten und Konsumenten kontrollieren und manipulieren kann, desto mehr sichert man die eigene Position.“
„Aber ich verstehe nicht, warum Megatonin für sie so interessant war“, warf Susanne ein, „ich meine, wenn es die Leute intuitiver und emotionaler, also, na ja, irgendwie wacher macht, würden sie sich doch viel schwerer kontrollieren und manipulieren lassen ...“
Schlei schüttelte den Kopf. „Nein, es ging ihnen um den PSI-Faktor. Seit Jahrzenten sind in den NATO- Ländern ebenso wie im ehemaligen Warschauer Pakt beträchtliche Summen in geheime Psi-Forschungen gesteckt worden.“
„ Psi?“ Susanne verzog das Gesicht. Psi hatte für sie etwas mit schlechten Gruselfilmen undSchundromanen zu tun. Es erschien ihr unfaßbar, daß sich ernsthafte Menschen mit einem solchen Unsinn beschäftigen. „Jetz hören Sie aber auf!“
Über Schleis Gesicht huschte ein schwaches Lächeln. „Die meisten Menschen reagieren so wie Sie auf dieses Wort. Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß die Existenz von paranormalen Fähigkeiten längst wissenschaftlich erwiesen ist. Das gilt für Telepathie, Telekinese, Heilsehen, Präkognition ...“
„Und Sie denken, daß ich Ihnen den Quatsch abkaufe?“ unterbrach ihn Susanne. „Wir leben nicht im Mittelalter, sondern im aufgeklärten zwanzigsten Jahrhundert!“ Doch gleichzeitig erinnerte sie sich voller unbehagen an das, was Jonas über Gablenz´ unerklärliche Kommunikation mit den Wölfen berichtet hatte. Sie kannte Jonas als
Weitere Kostenlose Bücher