Wendland & Adrian 02 - Die Krypta
Darstellungen der Waldgeister. Man findet sie zum Beispiel am Chorgestühl oder, in Stein gemeißelt, im Obergaden des Chores aus dem dreizehnten Jahrhundert...«
Befriedigt hörte Chris, dass die alten Naturreligionen von der Kirche nicht völlig ausgemerzt worden waren, sondern sich gewissermaßen durch die Hintertür sogar in einen Bau wie den Kölner Dom eingeschlichen hatten. Besonders witzig fand sie, dass die alten Chorherren mit ihren Hintern auf einem Gestühl gesessen hatten, in dessen Schnitzereien Hexen und Waldschrate ihr Unwesen trieben, die doch allesamt des Teufels waren! Plötzlich war Chris stolz darauf, eine Schamanin zu sein. Es gibt uns immer noch, dachte sie, allen Scheiterhaufen zum Trotz!
Susanne stupste sie an. »Er kommt«, sagte sie. Tatsächlich tauchte Scharenbroichs Kopf oben an der Treppe auf. Aber er war nicht allein. Ein anderer Mann verließ mit ihm die Krypta, größer und schlanker, grauhaarig. »Das ist dieser Domkapitular, Dr. Ermekeil«, flüsterte Susanne, sprang auf und eilte mit langen Schritten auf die beiden zu. Chris folgte ihr deutlich bedächtiger. »Und, Dechant Scharenbroich, haben Sie dort unten etwas entdeckt, das uns hilft, den wahren Mörder Ihres Freundes Oster zu finden?«, fragte Susanne und schaute ihn durchbohrend an.
Sie hat wunderschöne Falkenaugen, dachte Chris. Scharenbroich machte ein Gesicht, als wäre er vor Susannes Fragen am liebsten gleich wieder tief hinunter in die Kellergewölbe des Doms geflüchtet.
»Mit Ihnen hatte ich nicht gerechnet«, stöhnte er und zeigte auf Chris, die inzwischen bei den beiden angekommen war. »Wer ist sie?«
Susanne schaute Chris an und antwortete: »Das ist Frau Adrian, meine Assistentin.«
»Ach so.« Er atmete auf. »Ich hatte schon befürchtet, sie wäre von der Presse.«
Er reckte sich etwas, versuchte Autorität zu zeigen. »Ich weiß, dass Ihnen der Fall entzogen wurde. Ich brauche Ihnen oder Ihr er Assistentin keinerlei Auskünfte erteilen. Wenn Sie mich weiter behelligen, werde ich mich bei Oberstaatsanwalt Herkenrath über Sie beschweren.«
»Glauben Sie denn wirklich, dass Hatheyer Oster ermordet hat?«
Ermekeil sagte mit ruhiger, fester Stimme: »Für das Domkapitel steht fest, dass Hatheyer den Probst ermordet hat. Wer hat Sie eigentlich beauftragt uns hier mit Ihren Fragen zu überfallen? Oberstaatsanwalt Herkenrath doch wohl kaum.« Er sagte das nicht schrill oder erregt. Seine Stimme blieb freundlich.
Scharenbroich schob sich an Susanne vorbei. »Lassen Sie mich in Ruhe. Ich habe zu tun.« Eilig ging er auf die Drehtür des Ausgangs zu. Ermekeil folgte ihm. Chris hatte den Eindruck, dass er sie ziemlich neugierig angestarrt hatte. Chris und Susanne folgten ihnen nach draußen.
»Was machen wir jetzt?«, zischte Chris gespannt und blinzelte in der Sonne. Scharenbroich und der andere Mann gingen auf ein dem Dom gegenüberliegendes rotes Backsteingebäude zu.
Susanne drehte sich zu Chris um. »Das ist die Domprobstei. Da hat Scharenbroich sein Büro«, sagte sie erläuternd.
Susanne zog ihr Handy aus der Tasche. »Ich rufe mal Tönsdorf an und frage, ob Hatheyer bei der Festnahme irgendwelche Aussagen gemacht hat.«
Tönsdorf meldete sich offenbar sofort. Es dauerte ein paar Sekunden, dann stieß Susanne hervor: »Was? Er hat...« Sie wurde ganz blass.
Chris berührte sie mitfühlend am Arm. Sie konnte spüren, wie Susannes langer Körper sich anspannte wie eine Bogensehne. »Ja, danke«, murmelte sie und steckte das Handy wieder weg. »Hatheyer hat sich umgebracht.« Ihre Stimme zitterte. »Vielleicht habe ich ihn gestern ... zerbrochen. Warum habe ich auch so auf ihn einschlagen müssen?«
Chris sah, wie Susanne Tränen in die Augen stiegen. Sie nahm sie in den Arm und streichelte beruhigend ihre Schultern. Schnell wischte sich Susanne die Tränen weg. »Ich fahre ins Präsidium. Ich muss mit Antweiler sprechen. Was Hatheyer mir gestern gesagt hat, lässt mir keine Ruhe. Wenigstens muss ich den Chef informieren, auch wenn es möglicherweise nicht viel nützt. Ich komme später zur Vandenberg-Villa nach, dann können wir heute Abend Roland Vandenberg und diesem Terwegen auf den Zahn fühlen.«
Und schon ging Susanne mit langen Schritten davon. Sie macht sich Vorwürfe wegen Hatheyers Tod, dachte Chris, und statt sich richtig auszuweinen saust sie sofort los und tut irgendwas. Vielleicht müssen die Leute in der Stadt so schnell sein.
Schräg gegenüber standen die Tische eines Cafés in
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