Wendland & Adrian 02 - Die Krypta
Herz bis zum Hals. Das Ganze dauerte nur ein paar Sekunden, dann fühlte sich der Boden unter ihren Füßen wieder fest an. Ahriman sauste ängstlich jaulend herbei und drückte sich winselnd an Chris' Bein.
Die nun folgende atemlose Stille empfand Chris als bedrohlich. Sie glaubte tief aus der Erde ein leises Grollen zu hören, als ob sich dort unten eine gefährliche Spannung aufbaute, die sich früher oder später entladen musste.
»Ein ... richtiges Erdbeben!« Heikes Stimme zitterte. Sie war kreidebleich. »In den letzten Tagen hat es immer wieder kleine Erschütterungen gegeben, aber so schlimm war es noch nie.«
Vorsichtig gingen sie auf die Villa zu, blieben aber erschrocken stehen, als von der Außenmauer etwas Putz herabrieselte. Erst als sie keine verdächtigen Geräusche mehr hörten, wagten sie sich näher heran. Besorgt entdeckte Chris mehrere Risse in der Fassade.
»Ich rufe mal Roland an und höre, ob bei ihm alles in Ordnung ist«, sagte Heike mit großen, ängstlichen Augen.
»Mach das lieber vom Gästehaus aus«, warnte Chris. Sie liefen hinüber und konnten an dem kleinen Fachwerkhaus glücklicherweise keinerlei Risse entdecken. Entweder war es solider als die Villa oder der Erdstoß hatte sich nicht bis hierher ausgewirkt, was sich Chris aber kaum vorstellen konnte.
Als der Dom für eine Sekunde von einer unterirdischen Stoßwelle erschüttert wurde und sein altes Mauerwerk in allen Fugen ächzte, kniete er gerade vor dem Altarbild und betete. Er wusste, was dieser Stoß bedeutete: In Bischofsweiler hatten sie die Kirche gesprengt. Der große Moment war nicht mehr fern. Der Dom würde die Kräfte aushalten, denn die Kathedrale war von der göttlichen Vorsehung dazu ausersehen, Ausgangspunkt einer kirchlichen Erneuerung zu sein, deren Verkünder er sein würde. Das Kommen des Heiligen Geistes. Nein, es bestand kein Zweifel, dass der Dom standhalten würde. Er stieg nach oben und hörte, wie die Panik der Menschen durch die Kirchengewölbe hallte - aufgeregt trappelnde Füße, Stimmengewirr, ängstliche Schreie. Wenn es den Menschen an echtem Gottvertrauen fehlte, gerieten sie leicht in kopflose Panik. Die Domschweizer hatten die Notausgänge geöffnet. Die Dombesucher drängten nach draußen, wobei einige umgerannt, getreten und verletzt wurden. Wenige Meter von der Treppe zur Krypta entfernt war ein älterer Mann, dem eine Videokamera um den Hals hing, von einem herabfallenden Stein erschlagen worden. Er sah, dass an mehreren Stellen einzelne Steine von den Kapitellen herabgestürzt waren. Doch für die Statik des Doms bestand keine Gefahr. Davon war er überzeugt. Immerhin hatte die Kathedrale sogar die schweren Bombenschäden des Zweiten Weltkriegs überstanden, ohne einzustürzen. Er beugte sich über den Mann, um dessen zertrümmerten Kopf sich eine Blutlache bildete. Einer der Domschweizer rannte atemlos herbei. »Haben Sie Polizei und Feuerwehr verständigt?«
Der Mann nickte. »Für den hier kommt wohl jeder Hilfe zu spät.«
»Wo ist Scharenbroich?«
»In der Propstei. Ich habe ihn angerufen. Er hat die Sperrung des Doms durch die Polizei angeordnet und ist hierher unterwegs.«
»Gut.«
Der Mann eilte wieder davon, um die Türen zu verriegeln. Nun war es still, bis auf das leise Stöhnen zweier Verletzter, die am Notausgang im Südquerhaus niedergerannt worden waren. Die Domschweizer kümmerten sich um sie, bis der Notarzt eintraf. Die Säulenfundamente des Doms reichten siebzehn Meter tief hinab. Sie würden standhalten, auch wenn hier und da ein leises Knirschen und Ächzen zu hören war, als erwache das Gebäude zum Leben wie ein Urtier aus der Zeit vor der Sintflut. Er blickte Scharenbroich entgegen, der durchs Hauptportal kam und im Seitenschiff nach vorn eilte.
»Gott sei Dank bist du da, Ermekeil!«, keuchte Scharenbroich. »Ist das nicht furchtbar? Ein Toter und Verletzte im Dom!«
»Es gibt keine gravierenden Schäden«, sagte er. Er empfand tiefes Mitgefühl für den Toten und schloss ihm mit einer zärtlichen Geste die starren Augen.
»Offenbar hat es einen leichten Erdstoß gegeben.« Scharenbroich sprach hastig und abgehackt, tupfte sich Schweiß von der Stirn. Scharenbroich war wirklich eine gute Seele. Dumm und ängstlich, aber mit einem Herzen aus Gold. »In der Stadt hat es an mehreren älteren Gebäuden leichte Schäden gegeben. Aber warum nur an einzelnen Gebäuden? Das verstehe ich nicht!«
Der Erfolg des großen Plans durfte nicht gefährdet werden,
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