Wendland & Adrian 02 - Die Krypta
plötzlich, wie ihr Körper sich versteifte. Sie musste an den Moment denken, wie sie unten in der Domkrypta vor dem Altarbild gestanden hatte.
Dieses instabile Gefühl unter ihren Füßen war wieder da, es war, als stünde sie auf einem unruhigen See aus Energie. Und da war auch wieder das unangenehme Ziehen in der Magengegend. »Heike«, sagte sie, »lass uns raus in den Park gehen.«
»Aber warum denn?«
Chris spürte, wie sie in Panik geriet. Da war plötzlich die Bärin, eine Gefahr witternde Bärin, die fliehen wollte. Chris griff nach Heikes Hand und zog sie hinter sich her. »Raus hier, schnell!«
Sie rannten, Heike etwas zögernd, widerstrebend, hinaus auf den Flur und dann die breite Wendeltreppe in die lichtdurchflutete Eingangshalle hinunter.
Als der Sprengmeister das Signal gab, setzte Barnstett rasch seinen Helm wieder auf. Die letzte Gnadenfrist für die Kirche war abgelaufen. Er wandte sich ab, richtete den Blick auf das von den Baggern verwüstete Dorf, dann etwas höher auf den strahlend blauen Himmel, an dem ein paar Wolken träge dahinwanderten wie grasende Schafe. Er hörte das durch seine Ohrenschützer gedämpfte Dröhnen der Sprengung. Die Druckwelle zerrte an seinen Haaren und ließ den Boden unter seinen Füßen erzittern. Mauerwerk fiel polternd in sich zusammen. Dann war es still. Er nahm Helm und Ohrenschützer ab und drehte sich langsam um. Während er mit grimmiger Wut betrachtete, was Glosowskis Abriss-Barbaren von der Kirche übrig gelassen hatten, bewegte sich der Untergrund erneut.
Es war, als würden sie von einer einzelnen, sanften Welle geschaukelt, die unter ihnen durch den Boden floss. Barnstett spürte deutlich, wie seine Füße ein Stück angehoben wurden und dann wieder absanken. Der Wagen, an den er sich gelehnt hatte, schwankte in den Federn wie bei einer Windböe. Es dauert vielleicht eine Sekunde, dann war es vorbei, die Erde wieder ruhig. Barnstett starrte die Ingenieurin an. »Was um alles in der Welt war das?«, stammelte er.
Sie machte ein erschrockenes Gesicht, in dem aber sofort wieder die gewohnten harten Falten erschienen. »Die Sprengung und der Einsturz des Kirchturms
- das hatte eine ziemliche Wucht. So eine Art Nachbeben wohl. Vielleicht liegt's an dem vielen Grundwasser.« Man sah ihr an, dass dieser Erklärungsversuch sie selbst nicht befriedigte. Dann schaute sie auf die Uhr und machte eine ärgerliche Handbewegung. »Ach, was weiß ich. Wir müssen weitermachen.« Mit raschen Schritten ging sie davon.
Susanne war mit ausgestreckter Rute ein paar Schritte in der Grube auf und ab gegangen, ohne irgendetwas zu spüren. Sie wollte die Rute frustriert wegwerfen, als sich plötzlich an der mit Silberfolie umwickelten Spitze etwas bildete, das wie ein kleines blaues Flämmchen aussah. Susanne blieb erschrocken stehen und starrte auf diesen Lichteffekt. Das bläuliche Feuer floss an der Rute langsam nach hinten, auf die Griffe zu. Und der Boden bewegte sich. Es fühlt sich an, als würden Susannes Fußsohlen massiert. Sie schrie auf. Vom Rand der Grube prasselte Erde herab. Das blaue Leuchten erreichte die Griffe und sprang auf Susannes Hände über. Sie spürte ein unangenehmes Prickeln und Ziehen und ihr wurde flau. Sie warf die Rute weg. Ihre Handflächen brannten wie Feuer. Der Boden vibrierte so stark, dass sie das Gleichgewicht verlor und hinfiel. Dann war ganz plötzlich alles wieder ruhig. Susanne stand kalter Schweiß auf der Stirn.
Vorsichtig stand sie auf. Immer noch rieselte von den Wänden der Ausschachtung Erde herab. Die Leiter war umgefallen. Susanne stellte sie wieder auf und sah dabei, dass die Rute immer noch bläulich leuchtete. Sie wagte nicht das Ding ein weiteres Mal anzufassen. Sie stieg die Leiter hoch, und während sie über die Trümmerhaufen zur Straße kletterte, hatte sie den Eindruck, dass auch hier Erde und Steine verrutscht waren. Ein Erdbeben, dachte sie, ein leichter Erdstoß. Sie hörte das klagende Heulen einer Sirene und die Martinshörner von Einsatzfahrzeugen. Was ist in der Stadt los?, fragte sie sich besorgt und zog ihr Handy aus der Tasche. Dabei merkte sie, dass sich auf ihren Handflächen kleine, schmerzhafte Brandblasen gebildet hatten.
Chris und Heike waren gerannt, bis sie draußen auf der Wiese standen. Eine Stoßwelle lief durch den Boden und hob ihn unter ihren Füßen an. Entsetzt sah Chris, wie die Türme der Villa schwankten und zitterten. Einige Steine fielen herab. Heike schrie, Chris schlug das
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