Wendland & Adrian 02 - Die Krypta
Tönsdorf. »Offenbar bilden sich bereits Staus, weil viele Leute aus Angst vor einem Erdbeben die Stadt verlassen. Die öffentlichen Beteuerungen, dass Köln nicht in einem erdbebengefährdet en Gebiet liegt, helfen da wohl nicht viel. Kein Wunder, wenn den Leuten nachts die Hütte unter dem Hintern wackelt.« In der Tat kam es Susanne so vor, als sei der Berufsverkehr an diesem Morgen noch dichter als sonst. Aber Roland lenkte seinen Porsche souverän durch alle möglichen Schleichwege und Abkürzungen.
»Unser Geschäftshaus liegt fast am Weg. Ich will dort kurz nach dem Rechten sehen«, sagte er, bog in den Gereonswall ein, stoppte vor dem mächtigen Gründerzeitbau und sprang aus dem Wagen. Seitlich von dem breiten Treppenaufgang blieb er stehen und untersuchte die Hauswand. »Hier. Das war gestern noch nicht da.« Er zeigte Susanne die gezackten Risse, die den Putz durchzogen wie Blitze. »Wollen wir wetten, dass auch hier im Keller das unheimliche Licht leuchtet? Ich hoffe sehr, Onkel Harald hat auf all das eine Antwort!«
Sie fuhren weiter. Roland nahm eine Hand vom Lenkrad und strich sich durch sein gepflegtes Haar. »Wenn ich nur wüsste, was mein Großvater damals meinte, als er meinen Vater vor dem blauen Licht warnte. Die Ausgewogenheit zwischen Himmelspol und Erdpol ist offenbar gestört. Aber wodurch? Allein dadurch, dass heute keine ausgewogenen Häuser mehr gebaut werden? Und wie haben meine Vorfahren das Energienetz manipuliert? Das hat mein Großvater nie erzählt. Oder jedenfalls kann ich mich nicht erinnern.«
Susanne kam plötzlich ein Gedanke, der ihr völlig verrückt erschien. Jedem modernen Naturwissenschaftler musste sich bei solchen Gedankengängen der Magen umdrehen. »Alles hat mit diesem Konrad von Hochstaden begonnen, bei dem dein Urahn Gerhard Geomant war. Der hat den Grundstein für den Dom gelegt. Und für das Kloster in Bischofsweiler. Angenommen, diese beiden Pole, von denen dein Großvater gesprochen hat, befinden sich unter dem Dom und unter dem Kloster ... « Sie spürte, wie Angst in ihr hochstieg, eine irrationale, lähmende Angst.
Roland bremste heftig ab und hielt am Straßenrand. Er schnallte sich los und hob den Folianten aus der Tasche hinter den Sitzen. »Das müsste in den Karten eingezeichnet sein. Oder es gab Dinge, die selbst für das Geheime Buch zu geheim waren.«
Sie hielten das Buch zwischen sich, und Roland blätterte. Der staubigvergilbte Geruch der alten Seiten stieg Susanne in die Nase. Es gab viele Karten und Pläne, in die rätselhafte Symbole eingezeichnet waren. Weder sie noch Roland konnten die offenbar teilweise in Latein, teilweise in mittelalterlichem Deutsch abgefassten Beschriftungen entziffern. Immer handelte es sich nur um Pläne des unmittelbaren Kölner Stadtgebietes, oft auch nur um Grundrisse einzelner Gebäude oder Straßenzüge. Ein paar Seiten später stießen sie auf eine Zeichnung, die Susanne auf den ersten Blick völlig rätselhaft war. »Die habe ich vor ein paar Tagen schon einmal betrachtet«, sagte Roland, »ohne dahinterzukommen, was sie bedeuten könnte. Hast du eine Idee?«
Es handelte sich um eine Doppelseite. Rechts oben sah man die sehr sorgfältig und detailliert gezeichnete Seitenansicht einer großen Kirche, die unschwer als der Dom zu erkennen war. Darunter befand sich ein goldenes Sonnensymbol. Weiter unten, in der Mitte der Seite, stand ein bärtiger Mann in einem langen weißen Gewand, mit weit ausgebreiteten Armen. Um den Mann herum waren schließlich kreisförmig mehrere Symbole angeordnet: ein Buch, ein Schwert, eine Pflugschar, ein Segelschiff und eine Kirche mit hohem Turm. Auf der linken Seite, dem Mann gegenüber, stand, ebenso die Arme ausbreitend, eine langhaarige Frau in einem nachtschwarzen Gewand. Auch sie war von einem Kreis aus Symbolen umgeben. Susanne sah ein schlafendes Kind, eine Harfe, ein Blumengebinde, eine Korngarbe und eine Eule. Über dem Kopf der Frau glitzerte eine silberne Mondsichel. Die Frau und der Mann und das Mond- und das Sonnensymbol waren durch blaue Linien miteinander verbunden. Die Schriftzeichen, mit denen diese Linien versehen waren, erinnerten Susanne an die Zeichen, die auf dem Runenstab der Vandenbergs eingraviert waren. Und sie erkannte die Seitenansicht jenes Gebäudes, das über der Frau und der Mondsichel eingezeichnet war, weil sie es erst kürzlich mit eigenen Augen gesehen hatte. »Ich weiß nicht, was die Zeichnung bedeutet, aber so sicher wie das dort rechts der
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