Wendland & Adrian 02 - Die Krypta
gemacht.« Dann hatte Onkel Harald ihr auf diese spitzbübische Weise zugezwinkert, die sie an ihm sehr gern mochte, und ihr, um sie abzulenken, ein paar Karnevalsanekdoten erzählt.
Nachdem sie den Frühstückstisch abgeräumt hatte - Frau Runde kam nur mittags und abends -, ging Heike hinaus in den Park. Der Gärtner arbeitete an den Rosenbeeten. Ahriman, der ihr gefolgt war, tollte über die Wiese. Gestern Abend hatte der Hund sich seltsam benommen. Er wollte nicht ins Haus. Tagsüber lief er in letzter Zeit sowieso ständig im Park herum, aber abends, wenn es kalt wurde, kam er normalerweise herein. Doch gestern Abend hatte sie ihn am Halsband nach drinnen ziehen müssen. Er hatte gewinselt und sich einen Schlafplatz gleich an der Haustür gesucht, obwohl es dort viel kälter als am Kamin war, wo er normalerweise schlief.
Heike ging hinüber zum Seerosenteich, wo der Gärtner sie nicht sehen konnte, und beschloss ihren Falken zu tanzen.
Sie zog Schuhe und Strümpfe aus und machte mit ausgebreiteten Armen einige Tanzschritte. Sie hatte als Kind etwas Ballettunterricht gehabt und für einen Augenblick fühlte sie sich leicht wie eine Ballerina. Ich könnte mich erkälten, dachte sie, denn das Gras war kalt und feucht. Ahriman kam und schaute ihr zu.
Plötzlich hatte sie den Eindruck eines Falken, der hoch über dem Park kreiste. Sie war im Körper des Falken und spürte, wie ihr der Wind durch die Federn strich. Das Gefühl dauerte nur einen winzigen Augenblick, wirkte aber so echt, dass sie kopfschüttelnd, mit offenem Mund neben dem Teich stehen blieb, wo der große bronzene Brunnenfrosch leise vor sich hin plätscherte.
Sie machte die Augen zu und sah Chris, die einsam auf einem Berg stand und in die Ferne blickte. Ratlosigkeit und Verwirrung spiegelten sich auf Chris' Gesicht. Das Bild verschwand ebenso rasch wie der Eindruck des Falken. Heike ließ sich ins Gras plumpsen, mochte es noch so kalt und feucht sein, rieb sich ihre Schläfen und blickte unsicher umher. Ahriman kam näher, schnüffelte und leckte ihr die Hand. Im Park war alles so wie immer, nichts Ungewöhnliches zu bemerken. Die Bäume waren nicht von einer Aura umgeben, wie sie es in manchen Büchern gelesen hatte, und es hüpften auch keine Feen zwischen den Sträuchern herum. Aber da war das starke Gefühl, dass ihre neue Freundin Hilfe brauchte. »Vielleicht will das Universum, dass ich ihr etwas zurückgebe für das, was sie gestern für mich getan hat«, sagte Heike leise zu Ahriman. »Immerhin fühle ich mich wie neugeboren, seit sie den Falken als Krafttier für mich gefunden hat.«
Sie ging ins Haus, das ihr an Morgen wie diesem, wo die Sonnenstrahlen schräg durch die gotischen Buntglasfenster fielen, magisch erschien, ließ sich im riesigen, marmorgekachelten Bad warmes Wasser über die Füße laufen, zog eine trockene Jeans an, packte den aufgeregt hechelnden Ahriman in den Koffer- raum des Volvo und fuhr, nachdem sie Roland eine Nachricht auf die Mailbox gesprochen hatte, in Richtung Eifel.
»Er hat was?« Susanne glaubte ihren Ohren nicht zu trauen. »Sag das noch mal!«
Tönsdorf verzog seufzend das Gesicht und kratzte sich hinter dem Ohr. »Eben, ehe du ins Büro gekommen bist, hat er angerufen und gesagt, dass er keine Anzeige erstatten will. Möglicherweise hätte dieser Skinhead Recht gehabt. Er könne sich nicht mehr erinnern, wer ihn niedergeschlagen habe.«
»Möglicherweise! Ach, Scheiße!«
Tönsdorf zuckte die Achseln. »Uns bleibt nichts übrig, als das Nazi-Arschloch laufen zu lassen. Aus dem kriegen wir nichts raus. Er bleibt bei seiner Version, sie seien zufällig vorbeigekommen, hätten Hatheyer am Boden liegen sehen und nur erste Hilfe leisten wollen.«
»Was ist mit den anderen Typen aus seiner Gang?«
Tönsdorf zündete sich die unvermeidliche Zigarette an. »In der Hinsicht war er kooperativ, hat uns ihre Namen und Adressen genannt. Wir haben sie überprüft und es ist das Gleiche wie bei ihm selber: Ein paar Jugendstrafen, aber seit mehreren Jahren sind sie sauber - nach Aktenlage jedenfalls.«
Susanne brauchte zuerst einmal einen Kaffee, um besser nachdenken zu können. Tönsdorf hatte dankenswerterweise welchen aufgesetzt. Sie goss sich eine Tasse ein und trank ein paar Schlucke. »Warum tut er das?«, fragte sie.
Tönsdorf blies Rauch zum Fenster hinaus - in dieser Hinsicht war er immerhin rücksichtsvoll - und kratzte sich wieder hinter dem Ohr. »Hatheyer? Er wird wohl Schiss haben«, sagte er.
Weitere Kostenlose Bücher