Wendland & Adrian 02 - Die Krypta
in dem sie alles an Jonas erinnerte, wurde plötzlich zur Qual. Chris schluckte. »Ich hasse Großstädte«, sagte sie laut, riss die Haustür auf und lief zum Parkplatz. Zu ihrer Erleichterung stand der große Kombi mit dem Kölner Kennzeichen noch dort. Es war ein sehr teuer aussehender Wagen und Chris wurde zum ersten Mal wirklich bewusst, dass Heike - oder zumindest ihr Mann - sehr reich war. Eigentlich hatte Chris gegen reiche Leute Vorbehalte. Nach indianischer Auffassung war es nicht gut, wenn einzelne Menschen über zu viel materiellen Besitz verfügten. Aber im Moment wollte Chris vor allem eines: möglichst weit weg von dem stillen, leeren Forsthaus. Sie entdeckte Heike und Ahriman unten am Bach. Als sie atemlos herbeirannte, blickte Heike erstaunt auf. »Ahriman musste noch und da bin ich mit ihm etwas am Bach entlanggelaufen.«
»Entschuldige«, keuchte Chris, »ich hab's mir anders überlegt! Ich will doch mitkommen. Am liebsten gleich jetzt!«
Heike strahlte. »Gern!«
»Aber nur für ein paar Tage«, fügte Chris rasch hinzu. »Bis ich was Eigenes gefunden habe. Ich laufe rasch ins Haus und packe meine wichtigsten Sachen in meinen Rucksack.«
Susanne parkte ihren Wagen in der Bischof-Melchers - Straße und ging auf das Priesterseminar zu. Hier gab es die gleiche schlichte, schmucklose Backsteinarchitektur wie bei der Domprobstei. Das nebenan liegende, ebenfalls moderne Erzbischöfliche Palais wirkte mit seinem mächtigen Tor ziemlich trutzig - vielleicht eine Reminiszenz an die heftigen Fehden, die sich die Kölner Bürger im Mittelalter des Öfteren mit ihren Erzbischöfen geliefert hatten. Damenbesuch war im Priesterseminar gewiss nicht erlaubt. Das strenge Pförtnergesicht, das darüber wachte, hatte seit der vorigen Nacht gewechselt. Susanne hielt ihm ihren Dienstausweis hin. »Ich möchte Herrn Hatheyer sprechen. Es ist dringend.«
Der Pförtner schüttelte den Kopf. »Bedaure. Herr Hatheyer ist heute Morgen nach Aachen gefahren.«
Susanne unterdrückte einen für diesen Ort reichlich unpassenden Fluch. »Nach Aachen? Wann kommt er zurück?«
»Morgen. Irgendwann im Laufe des Tages. Er hat keine Uhrzeit genannt. Er hat sich ein paar Tage Urlaub genommen. Verständlich, nach dem ganzen Stress.«
Susannes Finger trommelten auf die schmale Pförtnertheke. Immerhin hockte er nicht hinter einer Glasscheibe, sondern in einem offenen Raum, der mehr wie eine Hotelrezeption wirkte. Überhaupt machte die Einrichtung des Seminars einen hellen, freundlichen Eindruck. Das war ihr schon damals bei ihrem ersten Besuch aufgefallen, als sie Hatheyer in der Bibliothek verhört hatte. Irgendwie assoziierte sie mit der katholischen Kirche finstere mittelalterliche Gemäuer. Liegt wohl an meiner frühkindlichen Prägung, dachte sie. Der Dom ist schuld.
»Kann man ihn in Aachen telefonisch erreichen? Am besten, Sie geben mir auch gleich die Adresse.«
Der Pförtner schob das Kinn vor. »Ich weiß nicht, ob das so ohne weiteres möglich ist. Herr Hatheyer ist zu seiner Tante gefahren. Ich denke, er sollte dort nicht gestört werden.«
Susanne beugte sich über die Theke. »Ich ermittle in einem Mordfall, und ich werde Herrn Hatheyer stören, wenn ich es für angebracht halte. Sind Sie jetzt so freundlich?«
Das Kinn des Pförtners sank zu seiner Telefonanlage herunter. Er riss einen der Zettel ab, die dort klebten, und hielt ihn Susanne wortlos hin.
Rasch notierte sie Name, Adresse und Telefonnummer von Hatheyers Tante, einer Frau Fehrenschild.
»Nett von Ihnen«, sagte sie lächelnd zu dem Pförtner, dessen Gesicht etwas eingefroren wirkte.
Draußen setzte sie sich in den Wagen und überlegte. Hatte Hatheyer wirklich vor morgen zurückzukommen? Vielleicht fühlte er sich in Aachen sicherer vor weiteren Bedrohungen durch die Skinheads. Sie hielt es immer noch für möglich, dass er den Domprobst erschlagen hatte. Andererseits sprach viel dagegen: Falls Hatheyer selbst der Mörder war, von wem wurde er dann bedroht? Wer hatte ein Interesse daran, ihn einzuschüchtern? Und sie konnte sich einfach nicht vorstellen, dass dieser zierliche, sensible Mann Oster, den er ja offenbar sehr geliebt hatte, von vorne mit einem Kerzenständer oder etwas Ähnlichem erschlagen haben sollte. Dann war da noch der Mord an der Oberin. Ein sonderbarer Mord. Der Täter hatte die Oberin offenbar gezwungen die tödlichen Tabletten zu schlucken, nachdem er sie vorher mehrfach ins Gesicht geschlagen hatte. An der Leiche waren
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