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Wendland & Adrian 03 - Nachtauge

Wendland & Adrian 03 - Nachtauge

Titel: Wendland & Adrian 03 - Nachtauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Görden
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sind voll mit Diäten und Fitness-Tipps und die Filmschauspielerinnen und Fotomodelle sind doch heute alle magersüchtig.«
    Susanne merkte, wie er sich in Fahrt redete.
    »Dabei wäre es in unserer Wohlstandsgesellschaft eigentlich viel realistischer und stimmte uns überdies lebensfroher, wenn wir runde, zufriedene, sinnlich-lustvolle Wohlgenährtheit zum Schönheitsideal erheben würden. Barocke Sinnesfreude, gewissermaßen. Stattdessen hungern sich bei uns junge Frauen vor bestens gefülltem Kühlschrank zu Tode. Menschen aus Ländern, wo es echten Hunger aus bitterer Armut gibt, muss das doch pervers erscheinen!« Dann fügte er hinzu: »Außerdem hätten Renoir oder Tizian Chris sicher gerne als Modell gehabt.«
    Susanne seufzte. »Mir könnte sie jedenfalls gern ein paar von ihren Pfunden abgeben Ich fühle mich oft so unweiblich mit meiner Figur.«
    Jonas war einer der ganz wenigen Männer, bei dem sie sich traute über diese Dinge zu sprechen.
    »Aber ist das denn nicht in umgekehrter Hinsicht auch Körper-Terror, den du da betreibst?«, fragte Jonas. »Ich glaube, es ist einfach natürlich für dich, so zu sein, wie du bist. Auf deine Art bist du nämlich eine richtig schöne Frau.«
    »Na, ich weiß nicht ...«
    »Doch, doch! Warum findet ihr Frauen euch selbst immer hässlich? Du hast einen langen, festen, athletischen Körper, der vollkommen in Ordnung ist.« Er grinste. »Das heißt jetzt natürlich nicht, dass du mich Chris ausspannen könntest. Mein Typ bist du halt nicht. Aber ich wette, es gibt ’ne Menge Männer, die total auf dich abfahren würden, wenn du dich nur selbst ein bisschen lieber hättest. Verstehst du? Du musst dich selbst in deinen Körper verlieben. Dann bekommst du ganz von selbst die magnetische Ausstrahlung.«
    Susanne zwinkerte ihm zu. »Schön, einen Philosophen im näheren Freundeskreis zu haben. Ich gehe mal schauen, was meine Jungs machen. Ich habe zwei im Streifenwagen hier vor dem Haus postiert und einen vor Feltens Büro. Man weiß ja nie.«

    Chris glitt durch den Tunnel, den glitzernden, schimmernden Kristalltunnel, durch den sie immer reiste, wenn sie in der Geisterwelt nach Heilung für sich selbst oder andere suchte. Sie strebte danach, eine fortschrittliche, kreative Schamanin zu sein und ihre eigenen, der heutigen Zeit angemessenen Methoden zu finden, so wie Silver Bear es ihr geraten hatte. Daher verzichtete sie inzwischen auf die Trommel und die Rasseln und andere Insignien traditioneller Schamanen, die sie anfangs noch benutzt hatte. Silver Bear hatte sie seinerzeit in diesem traditionellen Weg unterwiesen, wenn auch immer mit einem gewissen ironischen Funkeln in den Augen. Er selbst behauptete sich über die alten »Krücken«, wie er es nannte, hinausentwickelt zu haben, hielt es aber für sinnvoll, dass eine angehende Schamanin zunächst einmal auf diesem Wege lernte, wie ja auch ein Maler zunächst die alten Meister studiert, ehe er sich moderneren malerischen Formen zuwendet.
    Wenn sie heute für jemanden, der sie um Hilfe bat, in die Geisterwelt reiste, forderte sie die betreffende Person auf sich hinzulegen, die Augen zu schließen und sich zu entspannen, ohne sich auf etwas Bestimmtes zu konzentrieren. Sie selbst setzte sich daneben auf einen Stuhl und reiste durch den Kristalltunnel, den sie sich als geistigen Einstiegspunkt in die andere, schamanische Wirklichkeit geschaffen hatte. Das genügte ihr, um in eine ausreichende Halbtrance zu gelangen. Dabei blieb sie aber wach genug, um zu registrieren, was um sie herum vorging. Sie konnte sogar die Augen öffnen und sich mit anderen anwesenden Personen unterhalten, auch wenn das natürlich die Konzentration beeinträchtigte. Eine Trance, bei der das eigene Wachbewusstsein völlig ausgeschaltet wurde und der Schamane nur noch als Medium für irgendein Geistwesen fungierte, ohne bewusste Kontrolle, hatte Silver Bear stets strikt abgelehnt.
    »Das menschliche Bewusstsein ist schließlich eine der erstaunlichsten evolutionären Errungenschaften«, pflegte er zu sagen. »Das wollen wir doch nicht am Zelteingang ablegen; Schamanen, die in Volltrance gehen, regredieren in ein steinzeitliches Stadium, in dem der Mensch sich als Spielball der Elemente fühlte. So was sollten moderne, aufgeklärte Individuen nicht mehr nötig haben.«
    Die Wände des Kristalltunnels glitten vorbei. Sie schienen ein eigenes Leben zu haben. Manchmal wurden schemenhafte Bilder auf diesen Kristallen sichtbar, aber Chris hatte gelernt,

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