Wendland & Adrian 03 - Nachtauge
bereit. Für alle Fälle.«
»Na gut. Aber nötig ist’s wohl nicht.« Sie steckte ihr Handy wieder weg.
In Thürmanns Gesicht erschien das schiefe, etwas irrlichternde Grinsen. »Ich hoffe, hier stürmt nicht gleich eine schwer bewaffnete Einsatzhundertschaft herein. Mary Devananda ist etwas schreckhaft.«
»Keine Sorge.« Susanne winkte ab. »Felten hat übrigens kurz vor seinem Tod sein Testament noch einmal geändert. Er hatte offenbar Verdacht geschöpft, dass die Eberhards ihn hintergingen. Deshalb hat er ihnen die lebenslange Rente gestrichen.«
Thürmann hob die Brauen. »So? Davon wussten sie noch nichts. Aber es spielt jetzt ja ohnehin keine Rolle mehr. Vielleicht waren wir mit unserem Projekt zu unvorsichtig und er hat irgendwie zufällig entdeckt, dass die Eberhards mit Roger und mir unter einer Decke steckten.«
»Wie wollten Sie Felten denn aus dem Weg räumen?«, fragte Susanne und blies Zigarettenrauch in Richtung der Speere und finsteren Tanzmasken, deren verzerrte Grimassen den Tod willkommen zu heißen schienen.
»Mit einer Briefbombe. Natürlich wenn Mario sich gerade in München aufhielt, um den Jungen nicht zu gefährden, der doch schließlich unser wertvollstes Kapital war. Wir hofften, dass die Ermittlungen der Polizei sich dank der Drohbriefe ganz auf einen terroristischen Hintergrund konzentrieren würden. Wir wollten dann so schnell wie möglich unsere Zelte in Deutschland abbrechen und mit Mario und dem Schädel nach Belize gehen.«
»Doch dann durchkreuzte das Auftauchen des schwarzen Jaguars Ihre Pläne.«
Thürmann schaute hinüber zu der Götzenfigur mit dem zähnefletschenden Jaguarkopf. »Wir hatten die Rechnung ohne Balam gemacht. Und ohne sein Volk.«
»Die Jaguarmenschen. Was wissen Sie über die?«
Thürmanns Augen wurden schmal. Er leerte sein Whiskyglas. Als er es absetzte, sah Susanne, dass seine Hände wieder zu zittern begonnen hatten.
Und das nervöse Zucken schlich sich in sein Gesicht zurück.
»Zu viel«, sagte er leise. »Zu viel, um auf die Dunkelheit zu warten. Sind Sie mit meiner Geschichte zufrieden?«
Ein kleiner Ruck lief durch seinen Körper. Seine Haltung und sein Gesichtsausdruck wirkten, als habe er plötzlich einen Entschluss gefasst, aber Susanne vermochte diese Veränderung nicht recht zu deuten. Die zwei randvollen Gläser Whisky waren ihr merklich zu Kopf gestiegen. Mist, dachte sie, ich hätte das zweite Glas nicht austrinken sollen.
»Ich verstehe nicht«, sagte sie langsam, »warum die Balam-Leute sich erst jetzt für das rächen, was Sie ihnen damals angetan haben. Warum haben sie nicht Rache genommen, als Sie alle noch in Belize lebten? Das wäre doch viel einfacher gewesen.«
»Wenn ich über sie etwas gelernt habe, dann das: Ihr Handeln entzieht sich unseren Verstandesmaßstäben. Sie leben in ihrer eigenen Welt und ihrer eigenen Zeit. Am besten ist es, ihnen aus dem Weg zu gehen. Ihre Geheimnisse sind nicht für uns bestimmt. Wir machten damals den Fehler, in ihren Machtbereich einzudringen, und auch wenn wir das nicht ahnen konnten, unterschrieben wir damit unser Todesurteil. Aber ...« Er starrte an Susanne vorbei ins Leere. »Ich werde mich ihnen und ihrer verfluchten Magie nicht unterwerfen.«
Erst als er plötzlich aufsprang, dämmerte Susanne, wie er das meinte. Sein Stuhl stand näher am Balkon als ihrer. Er stürzte mit drei, vier langen Schritten nach draußen. Susannes vom Whisky verlangsamten Reflexe ließen sie zu spät bei ihm sein. Er schwang sich ohne jedes Zögern über das Geländer, als überspringe er einen niedrigen Gartenzaun. Sie hörte ihn schreien, sah ihn, als sie das Geländer erreichte, fallen, auf der Terrasse aufschlagen.
Das Leben wich nicht sofort aus seinem zerschmetterten Körper. Ein, zwei Sekunden herrschte Stille, dann schrie er wieder, von Schmerzen gepeinigt, bäumte sich auf, bis nach einem grässlichen Moment der Agonie alle Bewegung erstarb.
Torsten rannte über den Rasen, kniete neben ihm nieder, schüttelte den Kopf. Dann stand er auf und blickte ratlos von dem Toten zu Susanne hoch.
Susanne schloss die Augen und ihre Finger umklammerten mit aller Kraft das Balkongeländer – so fest, dass ihr der Schmerz bis in die Handgelenke schoss. Sie öffnete die Augen wieder, löste die Hände vom Geländer. Dann zündete sie sich mit verkrampften Fingern eine Zigarette an und blies Rauch hinauf in den verschwommenen Himmel.
8. KAPITEL
»Ich muss aber mit dem Schädel für eine Weile allein
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