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Wendland & Adrian 03 - Nachtauge

Wendland & Adrian 03 - Nachtauge

Titel: Wendland & Adrian 03 - Nachtauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Görden
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Körper und Geist sich lockern konnten.

    Der Waldsee glänzte in der Abendsonne. Mario und Jonas setzten sich ans Ufer. »Es ist sehr friedlich hier«, sagte
Mario.
    Jonas nickte. Mario hatte doch keine Lust zum Schwimmen gehabt und so waren sie ohne Badesachen zum See gegangen. »Man kann hier sehr gut sitzen und nachdenken«, sagte Jonas.
    »Glaubst du, dass Chris etwas herausfindet?«
    Jonas lächelte aufmunternd. »Wenn nicht sie, wer dann? Ich habe großes Vertrauen in ihre schamanischen Fähigkeiten. Schließlich habe ich sie schon oft genug in Aktion erlebt.«
    Mario tippte sich an die Schläfe. »Ich spüre, dass sich hier drin etwas verändert. Ich glaube, das hat mit Arnes Tod begonnen. Es scheint, dass die Erinnerung allmählich zurückkehrt.«
    »Die Erinnerung an deine ersten fünf Lebensjahre?«, fragte Jonas interessiert.
    »Es kommt mir so vor, als würde ich langsam aus einem langen Schlaf aufwachen ... Das haben mir schließlich auch diese seltsamen Leute zugerufen, die, denen du begegnet bist. Die Frau hat es gerufen, meine ich.« Er starrte nachdenklich hinaus auf den See.
    Voller Unbehagen erinnerte sich Jonas an seine unheimliche Begegnung. Er hatte Mario seit dem Abend, an dem Felten gestorben war, nicht mehr gesehen und er glaubte bei ihm eine Veränderung zu spüren. Da war etwas Fremdes. Die jungenhafte, sympathisch-zurückhaltende Ausstrahlung schien verschwunden, was aber eine ganz natürliche Reaktion auf die überstandenen Schockerlebnisse sein mochte. Wie oft kam es schon vor, dass einem jungen Menschen innerhalb von zwei Tagen die bislang wichtigsten Bezugspersonen starben und obendrein unter solch entsetzlichen Umständen?
    Eigentlich hielt Mario sich bewundernswert. Manch anderer wäre vermutlich völlig zusammengebrochen. Zumal ja nicht nur Felten und die Eberhards gestorben waren, sondern auch das Bild zerstört worden war, dass Mario sich zuvor von ihnen gemacht hatte. Er hatte die Lügen durchschaut, auf denen ihr Verhältnis zu ihm aufgebaut gewesen war.
    »Ich habe letzte Nacht fast gar nicht geschlafen«, nahm Mario ihre Unterhaltung wieder auf, »aber in der kurzen Zeit, die ich dann doch wegdämmerte, hatte ich einen komischen Traum, der mir wie eine Erinnerung vorkam.«
    »Träume sind oft sehr hilfreich.«
    Marios Augen wurden schmal. »Aber sie können uns auch quälen. Ich habe vom Dschungel geträumt. Ich war allein. Und ich war traurig, dass meine Mutter nicht bei mir war. Dabei merkte ich erschrocken, dass ich mich noch nicht einmal an ihr Gesicht erinnern konnte, als ob sie nur ein Gespenst war, dass es gar nicht wirklich gegeben hat. Ich war allein. Ich kniete auf dem Boden. Hoch über mir in den Urwaldbäumen sangen die Vögel. Dann hörte ich eine leise Stimme. Sie flüsterte zischend Worte in einer Sprache, die ich wohl einmal beherrschte, später aber vergessen habe. Es war eine alte, raue Stimme. Ich fürchtete mich vor ihr. Erst da merkte ich, dass meine Augen verbunden waren. Und jemand hatte mir die Hände gefesselt. Die Fesseln schnitten in meine Handgelenke. Es tat sehr weh. Ich zitterte vor Angst und wünschte mir, dass diese unangenehme zischende Stimme endlich schwieg. Aber sie flüsterte immer weiter. Und die Worte drangen in mich ein wie Gift. Sie veränderten etwas in mir. Und dann kam plötzlich
Balam ...«
    Jonas schluckte. »Balam? Der Jaguar? Ein Jaguar kam und hat dich angegriffen?«
    Mario schüttelte den Kopf. »Balam hat mich nicht von außen angegriffen. Er kam von innen.«
    »Von innen? Das verstehe ich nicht.«
    »Er kroch in mich hinein. Es tat sehr weh.« Mario wirkte plötzlich aufgeregt. Seine Lippen zitterten und er knetete nervös seine Finger. Er starrte Jonas an. »Verstehst du nicht? Balam ist in mir. Sie haben das gemacht. Das weiß ich jetzt. Und sie rufen mich zu sich.«
    »Sie? Wer denn? Die Leute, die vor Feltens Haus waren?«
    Mario nickte. »Ich bin anders als ihr. Ich bin einer von ihnen.«
    Jonas versuchte das Gespräch wieder in rationalere Bahnen zu lenken. Die Angst, die er bei der Begegnung mit den Balam-Leuten empfunden hatte, kehrte zurück, und das passte ihm überhaupt nicht. »Das wissen wir aber doch längst. Du bist zur Hälfte Indianer. Deine Mutter war eine Balam-Indianerin. Aber dein Vater war ein Weißer. Du bist in München zur Schule gegangen. Du magst Literatur. Camus, zum Beispiel.«
    Mario rieb sich mit beiden Händen die Stirn. »Das ... war nur Tünche. Oberfläche. Es zerbröselt alles. Ich werde

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