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Wendland & Adrian 03 - Nachtauge

Wendland & Adrian 03 - Nachtauge

Titel: Wendland & Adrian 03 - Nachtauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Görden
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nie mehr Bücher lesen. Ich bin anders.«
    »Aber warum soll ein Indianer keine Bücher lesen? Chris’ Lehrer, Silver Bear, war auch Indianer. Und trotzdem war er ein sehr belesener Mann.«
    »Keine normalen Indianer«, erwiderte Mario mit zitternder Stimme. »Sie sind anders ... sie sind ... Wächter .«
    »Die Balam-Leute? Und was bewachen sie?«
    Doch Mario antwortete nicht. Er sprang plötzlich auf. »Nachtauge«, murmelte er. »Ich sehe mit den Augen des Jaguar. Mein Blick durchdringt die Dunkelheit.« Dann verzerrte sich sein Gesicht und er stöhnte: »Ich habe sie getötet. Ich habe Sempold getötet und Krupka und Onkel Arne und die Eberhards!«
    »Langsam«, sagte Jonas. »Beruhige dich. Arne Felten kannst du gar nicht getötet haben. Chris war bei dir, als es passierte. Du hast in deinem Zimmer auf dem Bett gelegen. Und wie hättest du in der Nacht so schnell nach München und wieder zurück kommen sollen?«
    »Balam hat es getan. Balam kennt keine Zeit. Balam ist nicht wie ihr. Ich bin er und er ist ich. Balam fordert Blut. Sein Rachedurst ist noch nicht gestillt.«
    Jetzt stand auch Jonas auf. Mario war bleich geworden, Panik flackerte in seinen Augen. »Komm mir besser nicht zu nahe! Ich bin nicht wie du oder Chris. Ich bin auch ein ... Wächter. Balam ist in mir.«
    »Hör mal, deine Nerven sind etwas überdreht. Ist ja auch kein Wunder nach allem, was passiert ist. Wir gehen jetzt zum Haus zurück und dann koche ich uns als Erstes einen guten Tee, wie war’s?« Jonas versuchte das Flackern in Marios Blick richtig einzuschätzen. Mario war neunzehn, ein schlanker, nicht sehr großer junger Mann. Unter normalen Umständen hätte Jonas keine Bedenken gehabt ihn ruhig stellen zu können, falls das nötig werden sollte. Aber er musste vorsichtig sein. Als Polizist bekam man es immer wieder einmal mit Leuten zu tun, die psychotisch wurden. In diesem Zustand konnten manche von ihnen erstaunliche körperliche Kräfte entwickeln.
    Mario hob abwehrend die Hände. »Komm mir nicht zu nahe!«, wiederholte er. Sein Gesicht veränderte sich. Es verzerrte sich auf eine abstoßende Weise, sodass Jonas unwillkürlich einen Schritt zurückwich. Und dann stieß Mario einen Laut aus, den Jonas noch nie gehört hatte, eine Mischung aus Zischen und Fauchen, die Jonas traf wie ein eisiger Windhauch. Mario rannte davon, in einer geduckten und vorgebeugten Haltung, die an ein fliehendes Tier erinnerte.
    Jonas musste an den schrecklichen Moment denken, als der Indianer mit den Goldzähnen ihn an der Stirn berührt hatte und er auf dem Rasen zusammengebrochen war. Sie sind anders. Nur mühsam löste er sich aus dem Schock, der frostigen Starre, die der grässliche Laut ausgelöst hatte. Dennoch rief er: »Warte, Mario! Komm zurück!«
    Doch Mario war schon zwischen den Bäumen verschwunden. Jonas lief ihm nach, suchte ihn im Wald, hinter dessen Zweigen die Abendsonne schimmerte und flirrende Reflexe auf den Boden zeichnete. Er rief und suchte vergeblich, halb von Sorge um Mario erfüllt und halb in Furcht, der Junge könnte plötzlich hinter einem Baum vorspringen und ihn anfallen wie ein wildes Tier.

    Chris wollte aufgeben und den Schädel in seinen Koffer zurücklegen. Silver Bears Ansicht, dass magische Objekte nicht viel taugten, schien sich zu bestätigen. Plötzlich sagte eine leise Stimme in ihr: Sprich mit ihm. Die Magie, die in ihm wohnt, ist ein lebendiges Wesen. Sprich mit ihm.
    »Na gut«, seufzte Chris. »Hast du eine Botschaft für mich, Schädel? Etwas, das ich wissen sollte?«
    Doch es trat keine Veränderung ein. Draußen verschwand die Sonne offenbar allmählich hinter den Bäumen. Das Dämmerlicht im Zimmer wurde schwächer. Einem plötzlichen Impuls folgend, schaltete Chris die kleine Lampe auf dem Couchtisch ein, die sie gern mochte, weil sie einen warmen, gelben Lichtschein erzeugte, fast wie eine Kerze.
    Als sie sich den Schädel wieder vornahm, faszinierte es sie, wie er sich durch dieses freundliche Licht veränderte. Ein sanftes Leuchten und Schimmern erfüllte ihn nun. »Aha«, sagte sie leise. »Du möchtest mir also doch was mitteilen?«
    Plötzlich wurde der Schädel schwarz. Es kam so unerwartet, dass Chris erschrocken aufstöhnte. Er füllte sich mit einer tiefen Schwärze, als hätte jemand Tinte hineingegossen. Ihr Schreck schien sich auf Mister Brown zu übertragen, der leise winselte, dann aber wieder verstummte. Die Dunkelheit in dem Schädel war real und greifbar. Chris’ Herz fing heftig

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