Weniger Arbeit mehr Gemuese mehr Sex - Roman
ins Schloss. Allem Anschein nach für immer.
Ich hab’s vergeigt. Meine Lektion nicht gelernt. Meine zweite Chance nicht genutzt. Schmerzhaft klar erinnere ich mich an mein Frühlingserwachen nach dem Krankenhaus. An die Farben, die ich auf einmal wieder sehen konnte.
An meine ganzen guten Vorsätze. An mein urgewaltiges Glücksgefühl.
Verzweifelt versuche ich die Erinnerungen festzuhalten. Doch sie zerrinnen zwischen meinen Fingern wie Wasser. Schon greifen mich grobe Hände, legen mich in Handschellen und verfrachten mich auf eine Anklagebank. Aus den Augenwinkeln sehe ich verschwommen Thomas. Er redet beschwörend auf mich ein, aber ich kann ihn nicht verstehen. In meinen Ohren braust es. Mein Adrenalinpegel erreicht laufend neue Höchststände. Ich schlottere. Längst hat mein Körper allgemeinen Katastrophenalarm ausgelöst. Wenn sich die Lage nicht bald entspannt, wird mir in Kürze mein Herz um die Ohren fliegen.
Die Lage entspannt sich aber nicht. Stattdessen sehe ich zu meinem Entsetzen, wie mein innerer Staatsanwalt hämisch grinsend Dr. Dieter Schmidtbauer in den Zeugenstand ruft. Das gleißende Neonlicht lässt seine Augenringe dunkler denn je hervortreten, doch das scheint ihm wie immer egal zu sein. Eifrig öffnet er seinen Laptop und schließt ihn an einen Beamer an. Er wird doch jetzt nicht …
»Der amtlich bestellte Gutachter wird nun in einer kurzen Powerpoint-Präsentation die Verfehlungen der Angeklagten im Einzelnen dokumentieren«, erklärt der Staatsanwalt dem Vorsitzenden Richter, einem Glatzkopf mit einer enormen Wampe und großen, fleischigen Ohren. Neele würde ihm bestimmt zu einer umfassenden Schönheitsoperation raten, schießt es mir durch den Kopf.
Der Richter schaut mich strafend an und bittet Herrn Dr. Schmidtbauer, mit seinem Vortrag zu beginnen. Mir ist ganz schlecht vor Angst. Panik überrollt mich wie ein Güterzug, als der Gutachter die Gliederung seines Vortrags auf die Leinwand projiziert.
Punkt 1: Einführung. Punkt 2: Fehlverhalten im beruflichen Bereich. Punkt 3: Fehlverhalten im privaten Bereich. Punkt 4: Fehlverhalten im partnerschaftlichen Bereich. Punkt 5: Fazit.
Nur mit allergrößter Anstrengung kann ich der Einführung folgen. »Die Angeklagte wurde zu Jahresbeginn mit einer Gelben Karte verwarnt. Zunächst erfreuliche Besserungstendenzen, die jedoch im Laufe der darauffolgenden Monate vollständig verebbten. Die aus der Verwarnung gewonnenen Erkenntnisse erwiesen sich als hochgradig instabil. Es gelang der Angeklagten nicht, sie dauerhaft in ihrem Bewusstsein zu verankern. Im Übrigen waren ihre diesbezüglichen Versuche erschreckend halbherzig, wenn ich mir diese private Einschätzung erlauben darf«, fügt Dr. Schmidtbauer hyänenhaft hinzu. Musst du gerade sagen, du mit deinen zwei Herzinfarkten! Welcher Volltrottel hat dich überhaupt zum Gutachter ernannt – da hat man ja glatt den Bock zum Gärtner gemacht!, will ich schreien. Aber es kommt kein Laut aus meiner Kehle.
Dann werde ich festgeschnallt. Meine Augen werden mit Klammern offen gehalten, und Dr. Schmidtbauer beginnt unbarmherzig mit einem ausführlichen Bildervortrag.
Den Anfang machen Schnappschüsse von Streitereien zwischen mir und Joe Meidner, Manuel Weber sowie Dr. Schnurer. Auf den Bildern bin ich schrecklich unvorteilhaft getroffen. Schlechte Laune, finstere Miene, giftiger Blick, gestresster Gesichtsausdruck. Ich kann einfach nicht glauben, wie genau meine geheimen inneren Wallungen sich in meinem Ausdruck spiegeln.
Und wie ungenießbar ich aussehe.
Vor Verlegenheit will ich mich abwenden, mich am liebsten unter dem Tisch verstecken. Doch es gibt kein Entkommen.
»Nach einer kurzen Phase der Besinnung hat die Angeklagte ihre Work-Life-Balance erneut sträflich vernachlässigt. Sie ist somit als skrupellose Wiederholungstäterin einzustufen. Darüber hinaus waren ihre menschlichen Beziehungen am Arbeitsplatz schon kurz nach der Verwarnung wieder weitgehend von persönlichen Aversionen, Antipathien und Aggressionen bestimmt, was erstens dem sachorientierten Miteinander im Team zuwiderläuft und zweitens fahrlässig viel Lebensenergie kostet.«
An dieser Stelle deutet Dr. Schmidtbauer mit dem Laserpointer beispielhaft auf Manuel. Lieber guter Manuel, was habe ich dir nur angetan?
Doch bevor ich mich spontan in Grund und Boden schämen kann, redet der Gutachter weiter. »Der Gerechtigkeit halber sei an dieser Stelle angemerkt, dass der Vorgesetzte der Angeklagten tatsächlich ein
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