Weniger Arbeit mehr Gemuese mehr Sex - Roman
halte ich inne. Will sie mich etwa nicht trösten? Hat sie die Nase voll von mir, weil ich mich nicht genug für ihr Leben interessiere? Das wäre wahrhaftig kein Wunder!, schimpft mein innerer Staatsanwalt aus dem Hintergrund.
»Sandra, bitte. Ein Schritt nach dem anderen. Du hast offenbar einen neuen Knoten. Mehr wissen wir momentan nicht, und deshalb ist es auch zu früh für düstere Prognosen. Kann ja schließlich auch ’ne ganz harmlose Zyste sein, die hattest du doch früher immer mal wieder. Erinnere ich mich da richtig?«
»Ja, stimmt«, murmele ich verzagt.
»Na also. Noch gibt’s überhaupt keinen begründeten Verdacht. Aber ich weiß, wie schlimm es ist, mit der Angst im Kopf rumzulaufen. Deshalb würde ich an deiner Stelle gleich morgen früh zur Notaufnahme in die Uniklinik fahren. Da wird’s schon jemanden geben, der dir einen Ultraschall macht. Bei deiner Vorgeschichte ist das doch selbstverständlich. Und nach der Untersuchung wissen wir dann mehr. Sandra, hältst du bis morgen früh durch? Ich meine, du könntest natürlich auch jetzt direkt hinfahren, aber es ist Samstagabend, da werden sie dich sowieso wieder bis morgen nach Hause schicken. Apropos: Möchtest du, dass ich morgen mitkomme?«
Renate ist wirklich eine richtige Freundin. Und meine einzige Rettung in dieser dunklen Nacht, sieht man von Thomas’ Tätigkeit als Schnapskellner mal ab. Vor Dankbarkeit fange ich fast wieder an zu schluchzen. Doch dann höre ich mich, wie ich ihr mit leiser Stimme sage, dass ich die Zeit bis morgen früh schon irgendwie durchstehen werde. Nicht zuletzt dank der Schlaftabletten, die sie mir damals gegeben hat.
Martina ist zwar radikal dagegen, dass ich so was nehme. »Du musst dich deinen Gefühlen stellen, auch wenn es unangenehme sind«, hat sie mal vorwurfsvoll gesagt. »Nur wer Tiefen bewusst durchlebt, kann auch die Höhen empfinden!«
Klingt gut. Doch auf Höhen besteht für mich laut Schmidtbauers Gutachten keinerlei Aussicht. So gesehen muss ich an diesem Tiefpunkt nicht unbedingt den Helden geben. Die Gerichtsverhandlung war schon schlimm genug für mich – da kann ich bis morgen früh nicht noch mehr Albträume gebrauchen.
Mit einem letzten Schluchzer lege ich auf. Plötzlich fühle ich mich schrecklich erschöpft. Ich muss aussehen wie ein Häufchen Elend, denn Thomas umarmt mich tröstend. Hilflos fragt er, ob er mir helfen kann. Ich winke ab. Mit letzter Kraft wanke ich ins Bad, werfe eine Schlaftablette ein, ziehe meinen Kuschelschlafanzug an und verkrieche mich unter meinem Plumeau.
Zwei Minuten später spüre ich ein schweres Gewicht auf mir. Das Gewicht ist warm. Und schnurrt. Belmondos Art, mir Erste Hilfe zu leisten. Gerührt vergieße ich noch ein paar Tränchen. Dann schlafe ich ein.
v v v
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war die Angst sofort wieder da. Aber nicht mehr so monströs wie am Abend zuvor. Während ich im Schlaftablettenkoma gelegen hatte, hatte mein Restverstand offenbar den Kriseninterventionsplan vom letzten Mal rausgekramt und berieselte mich nun mit altvertrauten Ruhig-Blut-Parolen. Kein Übel ist so schlimm wie die Angst davor; was man nicht ändern kann, soll man auf sich zukommen lassen; ein Schritt nach dem anderen; don’t cross the bridge before you come to it.
Wenn der Anlass nicht so schlimm wäre, wäre ich glatt stolz auf mich. Ein bisschen von der Weisheit meiner Freundinnen ist offenbar doch bei mir hängen geblieben.
Ich schaffte es sogar, mich halbwegs ruhig an den Frühstückstisch zu setzen, anstatt mich sofort nach dem Aufwachen mit Blaulicht ins Krankenhaus einliefern zu lassen.
»Komm, iss was, Engel«, drängte Thomas mich liebevoll. Er sah übernächtigt und erschöpft aus und wusste immer noch nicht, was er sagen sollte.
Das ist normal, Frauen sind in solchen Situationen viel stärker als Männer, hörte ich Renates Stimme in meinem Ohr. Das Problem hast zwar du. Aber du wirst trotzdem für euch beide stark sein müssen.
Wie als Entschuldigung reichte Thomas mir ein frisch vom Bäcker geholtes Buttercroissant. Dann zündete er umständlich den Adventskranz an. Zwei Kerzen, für den zweiten Advent. Bedrückt starrte ich auf die beiden Flämmchen. Augenblicklich wurde mir schlecht.
Wahrscheinlich die Nerven. Oder das Croissant. Oder vielleicht auch der vertrocknete Hortensienhaufen. Bei Tageslicht sah er noch viel grauslicher aus, als ich ihn von gestern Abend in Erinnerung hatte.
Komisch, über welche Nichtigkeiten man sich
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