Weniger Arbeit mehr Gemuese mehr Sex - Roman
Diagnose hat sich mein innerer Staatsanwalt mit meinem schlechten Gewissen und meinem angeborenen Hang zum Aberglauben gegen mich verbrüdert und zischt mir pausenlos »Das kommt davon!« ins Ohr. Da sollte ich besser gar nicht erst auf den Gedanken kommen, Bennos Nummer zu wählen.
Mal ganz abgesehen davon, dass ich sie gar nicht habe.
Ich hole noch einmal tief Luft, dann rufe ich endlich Thomas an. Er wird leichenblass, das kann ich durchs Telefon sehen.
»Das ist ja furchtbar, Engel!«, ruft er.
Wie nicht anders zu erwarten, bringt sein Entsetzen meine Tränenproduktion sofort wieder auf Hochtouren. Jemand sollte mal einen psychologischen Leitfaden für solche Situationen schreiben. Da drin müsste gleich auf den ersten Seiten klargestellt werden, dass derartige Schreckensbezeugungen sicherlich gerechtfertigt sind. Den Betroffenen helfen sie aber leider keinen Zentimeter weiter. Eher im Gegenteil.
Der Schock ist für Thomas jedenfalls eindeutig noch größer als für mich. Er weiß überhaupt nicht, was er sagen soll. Und greift, wie immer in solchen Situationen, zu seinem einzigen Rettungsanker. Der Statistik.
»Wusstest du, dass Frauen im Laufe ihres Lebens im Schnitt eine ganze Badewanne vollweinen?«, fragt er mit einer Mischung aus Zärtlichkeit und wissenschaftlichem Interesse in der Stimme.
Eine etwas ungewöhnliche Form der Anteilnahme. Trotzdem irgendwie rührend.
Abgesehen davon bin ich ihm schon dankbar dafür, dass er nicht auf den Gedanken kommt, mir den neuesten Forschungsstand über die Überlebenswahrscheinlichkeit bei Mammakarzinomen zu referieren.
Mein Vater reagiert ähnlich panisch wie Thomas und gibt mich überstürzt an meine Mutter weiter. Die will sich gleich ins Auto setzen und zu mir kommen. Doch bei aller Angst um mich selbst wird mir ausgesprochen bange bei dem Gedanken daran, welche Folgen ihr Entschluss in dieser seelisch belastenden Situation für den fließenden Verkehr zwischen Laim und Schwabing haben könnte.
Nachdem ich ihr dieses Vorhaben ausgeredet habe, wird sie auf einmal wohltuend pragmatisch. »Du brauchst eine zweite Meinung von einem richtigen Spezialisten«, erklärt sie energisch. »Ich werde sofort meine alten Arzthelfer-Connections aktivieren.«
»Aber Mama, du warst Zahnarzthelferin. Wie willst du da an einen Spitzen-Gynäkologen rankommen?«
»Das überlass mal mir. Sag mal, Kind, willst du nicht zu uns kommen, solange Thomas noch auf Geschäftsreise ist? So ganz allein zu Hause, da fällt dir doch bestimmt die Decke auf den Kopf!«
Einen Moment lang bin ich versucht, die Einladung meiner Mutter anzunehmen. In der Stunde der Not zurückzukriechen ins elterliche Nest und mich wie früher mit Hühnersuppe und Schokoladenpudding trösten zu lassen.
Doch dann denke ich an die ganzen Ratschläge, die meine Apotheken - Umschau -geschulte Mutter mir im Rahmenprogramm servieren würde, von Kurkumatherapie bis Eigenurinbehandlung. Nee, dann doch lieber zu Hause bleiben.
»Danke, Mama, lieb von dir. Aber in meinen eigenen vier Wänden fühl ich mich momentan am wohlsten. Und Thomas kommt ja auch bald wieder«, sage ich. Und wundere mich ein bisschen über die Zärtlichkeit in meiner Stimme.
Unter normalen Umständen hätte ich sie nämlich missmutig darauf hingewiesen, dass ich kein Kind mehr bin, sondern leider Gottes schnellen Schrittes auf die 50 zugehe.
Aber die Umstände sind nicht mehr normal.
Mein Gruseln vor dem Älterwerden, vor Menopause, Bindegewebsverfall und Altersarmut hat sich seit gestern komplett in Luft aufgelöst, wie ich zu meinem Erstaunen feststelle. Im Nachhinein betrachtet sind das schließlich relativ bedeutungsarme Probleme, wenn man auf einmal gar nicht mehr weiß, ob man die 50 überhaupt erreicht.
Eine doppelte Portion Selbstmitleid will sich in meinem Kopf breitmachen, aber ich schiebe sie entschlossen weg. Bringt ja nichts. Es gibt nun mal keine Überlebensgarantie vom Baby bis zum Best Ager. Da ist es das Klügste, nicht weiter zu planen als bis zum nächsten Abend. Für den habe ich Neele und Martina eingeladen.
Aber vorher muss ich noch Joe Meidner hinter mich bringen.
v v v
Renate schenkt mir ihr schönstes Aufmunterungslächeln, als ich ins Büro komme. Ich habe sie gleich nach meinen Eltern angerufen. Und genau wie gestern hat sich ihre Ruhe am Ende auf mich übertragen.
»Seine Majestät hatte heute Morgen ausgesprochen schlechte Laune«, sagt sie fröhlich, »aber nach deinem Anruf war er wie vom Donner gerührt.
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