Weniger Arbeit mehr Gemuese mehr Sex - Roman
Er hat seitdem noch kein einziges Mal geflucht. Noch nicht mal, als ihm sein Latte macchiato aus Versehen über seine abwasserfarbene Designerjeans gekippt ist.«
Es gibt sie noch, die ausgleichende Gerechtigkeit, denke ich befriedigt. Gleichzeitig scheint mir der Tag, an dem ich dem Meidner beinahe in voller Absicht ein ähnliches Missgeschick beschert hätte, auf einmal wie Lichtjahre entfernt.
Schon komisch, wie sich durch so eine Diagnose innerhalb von Sekundenbruchteilen das ganze Leben ändert. Mit dem Dauerärger über Joe ist es auf einmal wie mit der Angst vor dem Altwerden. Alles kein Thema mehr.
Der Meidner steht sogar auf, als ich in sein Büro komme. Eine nie zuvor erlebte Ehre. Sonst lässt er mich aus Prinzip immer erst mal fünf Minuten wie bestellt und nicht abgeholt im Zimmer stehen, während er noch schnell ein wichtiges Telefonat mit einem Golfpartner führt, einen Zeitungsartikel zu Ende liest oder seinen Klingelton neu einstellt.
»Sandy-Babe, was machst du denn für Sachen?«, ruft er mit einem Gesichtsausdruck, in dem sich tatsächlich echtes Mitgefühl zu spiegeln scheint. »Das stehen wir zusammen durch. Mach dir keine Sorgen um deinen Job. Ich werde mich persönlich darum kümmern, dass meine beste Kraft so schnell wie möglich wieder zu Kräften kommt!«
Ich bin gerührt. So viel Menschlichkeit habe ich dem Meidner gar nicht zugetraut. Gerade will ich mich überschwänglich für seine netten Worte bedanken, da klingelt sein Telefon. Ferdi Hinterhuber. Joe stellt gleich auf Lautsprecher, dann informiert er seinen stillen Teilhaber über mein schweres Schicksal.
Einen Moment lang hört man nichts bis auf Ferdis schweres Übergewichtigenschnaufen. Schließlich brummt er in seinem feierlichsten Bayerisch: »Mei, Mädel, du packst des, da bin i mia ganz sicher! Kopf hoch, Brust raus!«
v v v
Bei dem Gedanken an Ferdis Rat kann ich noch Stunden später einen hysterischen Lachkrampf nur knapp unterdrücken. Um mich zu beruhigen, blättere ich in Martinas Meditationskalender. Obwohl der mir mit seiner Seelsorgeröligkeit allmählich schwer auf den Keks geht.
Auch in Gesundheitsfragen hat er, wie nicht anders zu erwarten, einen passenden Besserwisserspruch im Angebot: »In der einen Hälfte des Lebens opfern wir unsere Gesundheit, um Geld zu erwerben. In der anderen Hälfte opfern wir Geld, um die Gesundheit wiederzuerlangen.«
Na großartig. Da bin ich also angelangt. Warum sagt einem so was eigentlich niemand, bevor man die besten Jahre seines Lebens für Überstunden im Dienst von Job und Karriere verpulvert?
Wehmütig schaue ich mich in unserer Wohnung um, ganz so, als ob ich demnächst für immer Abschied nehmen müsste. Wie oft werde ich noch mit Thomas auf unserem Sofa gemütlich Tatort gucken können? Wird die kümmerliche Zwergkiefer womöglich länger leben als ich? Wird es mir noch vergönnt sein, Thomas vom Kauf einer neuen Einbauküche zu überzeugen?
Mein Verstand versucht, die in mir aufschäumende existenzielle Verzweiflung aufzuhalten. Mein Frauenarzt hat schließlich nicht etwa von einer lebensbedrohlichen Situation gesprochen, sondern von ganz erheblichem Glück im Unglück. Aber es ist zu spät. Dieses ominöse K-Wort hat eine Aura von Verdammnis, die extrem gewöhnungsbedürftig ist. Besonders für frisch Betroffene.
Endzeitstimmung schüttelt mich, und als Martina und Neele kommen, falle ich ihnen schluchzend in die Arme. Sie schalten gleich um auf Kriseninterventionsteam.
»Lass deine Gefühle ruhig raus, das erleichtert. Weinen ist gut für dich«, tröstet Martina mich. »Weißt du, wenn du deine Trauer unterdrückst, dann ist das ungünstig, dann sammelt sie sich in deinem Körper an und schadet dir …«
Auch das noch. Meine Endzeitstimmung verschärft sich, ich bin nur noch ein rotznasiges Bündel Elend.
»Mensch, Martina, jetzt hör aber auf mit deiner ewigen Küchenpsychologie!«, ruft Neele. »Das ist doch alles dummes Zeug. Krebs kommt nicht von unterdrückter Trauer oder so, sondern von Gendefekten und Schadstoffen in der Umwelt. Sandra ist krank geworden, sie wird jetzt behandelt, und dann wird sie wieder gesund. Basta.«
So wie Neele das sagt, klingt alles ganz klar, eindeutig und überstehbar. Mein Verstand meldet sich auch wieder zu Wort und weist mich darauf hin, dass Verzweiflung nicht gerade gut ist fürs Immunsystem. Das habe ich mal irgendwo gelesen, als dieses Thema für mich noch so weit weg war wie Touristenentführungen in der Sahara:
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