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Weniger Arbeit mehr Gemuese mehr Sex - Roman

Weniger Arbeit mehr Gemuese mehr Sex - Roman

Titel: Weniger Arbeit mehr Gemuese mehr Sex - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Reinker
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wohl Schockstarre.
    Die hält bei mir allerdings gerade mal bis zum Praxisausgang an.
    Kaum bin ich draußen auf der Straße, steigen die ersten Schluchzer in mir hoch. Meine nicht wasserfeste Wimperntusche verschliert mir die Kontaktlinsen, kopflos laufe ich die dunkle Straße entlang – direkt hinein in einen schneefeuchten Wintermantel.
    »Geht es Ihnen nicht gut? Kann ich Ihnen helfen?«, höre ich eine vertraute Stimme fragen. Meine Kollegin Renate Springer. Was macht die denn hier?
    Ein Blick in ihre freundlichen blauen Augen reicht, um bei mir endgültig alle Schleusen zu öffnen. Ich heule los wie ein verlassenes Seehundbaby. »Jetzt kommen Sie erst mal mit zu mir! Ich wohne gleich um die Ecke. Ich mach uns einen Tee, und Sie erzählen mir, was los ist«, sagt Frau Springer energisch.
    Ein überzeugender Plan. Zumal mir beim besten Willen kein anderer einfällt. Mein Hirn hat sich offenbar für eine sofortige Notabschaltung entschieden und ist selbst mit so simplen Aufgaben wie der Wahl des Heimwegs völlig überfordert.
    Drinnen im Warmen, in Renate Springers Ohrensessel gekuschelt, erzähle ich ihr alles, nur gelegentlich unterbrochen durch Heulen und Naseputzen.
    Sie verschont mich mit »Oh Gott, Sie Arme!«, »Das ist ja furchtbar!« und ähnlichen demoralisierenden Beileidsbekundungen. Stattdessen hört sie aufmerksam zu und stellt nur gelegentlich ein paar Fragen.
    »Ich hol uns erst mal ein paar Beruhigungstropfen«, sagt sie am Ende, verschwindet in der Küche und kommt mit einer Flasche Champagner zurück. »Die habe ich für solche Notfälle immer im Kühlschrank liegen. Damit hat mich eine Freundin damals glatt vor dem Durchdrehen gerettet.«
    Durchdrehen? Renate Springer, die Frau, die sich noch nicht mal von Joe Meidners cholerischen Anfällen aus der Ruhe bringen lässt?
    »Ich hatte vor zwölf Jahren Brustkrebs. Operation, Chemo, Strahlen, das volle Programm.«
    Ich bin so platt, dass ich darüber fast meinen eigenen Horror vergesse. In der Firma weiß niemand davon. Von Renate Springer weiß sowieso niemand etwas, außer dass sie ihre Arbeit gut macht, wenig redet und neben unserer betagten Buchhalterin die Einzige ist, die sich hartnäckig weigert, den Meidner »Joe« zu nennen und zu duzen, wie das alle anderen müssen.
    »Bei Bewerbungen auf Sekretärinnenstellen ist man erfreulicherweise noch nicht dazu verpflichtet, dem Arbeitgeber eine detaillierte Anamnese vorzulegen«, erklärt sie lächelnd. Sie sieht aus wie das blühende Leben. Von irgendwelchen Rückständen ihres Ringens mit einer der Geißeln der Menschheit keine Spur, sieht man von ihren kurz geschnittenen grauen Haaren mal ab. »Die waren schon vor der Chemo grau«, sagt sie, als sie meinen Blick bemerkt.
    Chemo. Bei dem Wort kriege ich dann doch wieder einen fetten Kloß im Hals. Eine Vision glatzköpfiger, hohlwangiger Elendsgestalten an dicken Schläuchen überkommt mich.
    »Halt, stopp. Ein Schritt nach dem anderen. Es gibt so viele unterschiedliche Befunde; Chemo ist längst nicht immer nötig. Also keine überflüssige Panikmache, okay?«
    Diese Frau kann Gedanken lesen. »Nach dem Kernspin wissen wir mehr. Jetzt schauen Sie erst mal, dass Sie diesen Abend einigermaßen hinter sich bringen. Wollen Sie, dass ich Ihnen ein paar Schlaftabletten mitgebe? Sonst wälzen Sie sich bestimmt doch nur die ganze Nacht hin und her. Und den Stress können Sie sich nun wirklich ersparen. Schon allein, um morgen früh halbwegs ausgeschlafen den Herausforderungen des Tages zu begegnen – meinen Sie nicht auch?«
    Sie lächelt mir aufmunternd zu, und auf einmal bin ich sehr dankbar, dass ich auf der Straße ausgerechnet mit ihr zusammengestoßen bin. Sie strahlt so eine Art Krebsveteranen-Gelassenheit aus, die mir hilft, mich einigermaßen zu beruhigen.
    Allmählich bekomme ich sogar tatsächlich Hunger. Ein gutes Zeichen. Solange ich Appetit auf eine Portion Spaghetti habe, bin ich noch nicht verloren.
    v v v
    Ausgestattet mit ein paar Schlaftabletten und einer festen Umarmung trat ich dann bald den Heimweg an. Ich schaffte es sogar, einen Zwischenstopp im Supermarkt zu machen und schluchzfrei mein Abendessen einzukaufen. Fast war ich ein bisschen stolz auf die Souveränität, mit der ich durch die Regale marschierte.
    »Mit der Sache hast du möglicherweise noch ein ganzes Weilchen zu tun«, hatte Renate Springer zum Abschied gesagt. »Für deine Nerven ist es da das Beste, wenn du dich damit abfindest, dass du eh nichts ändern kannst

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