Weniger sind mehr
Lebenssphären sich stärker nach eigenem Kompass ausgerichtet und sich auf sich selbst verlassen.
Selbststeuerung liegt im Zug der Zeit. So komplex, wie die Dinge heute zusammenhängen, kann keine Lebenssphäre, auch die politische nicht, auch noch die anderen führen und ihre Aufgaben und Leitwerte festlegen. Für die Familien heißt das: Sie müssen auf eigenen Beinen stehen. Im Grunde haben sie ihren Eigensinn längst für sich entdeckt. Dass Kinder ihre ureigenste Sache sind, lassen sie sich nicht nehmen. Die lakonische Weisheit Konrad Adenauers, »Kinder kriegen die Leute sowieso«, gilt nach wie vor. Sie enthält allerdings auch die Freiheit, weniger Kinder zu bekommen, als es Demografen, Politikern und Ethikern recht ist. Sie haben ihre Maßstäbe. Die Familie, die Wirtschaft, die Wissenschaft et cetera haben jeweils andere.
Wenn jeder Einzelne von uns neunmalklugen Gesellschaftskritikern und Gesellschaftspolitikern mit unseren individuellen Vorstellungen von richtiger Kinderzahl längst das Zeitliche gesegnet haben wird, gehen die kollektiven Lernprozesse der Familie immer noch weiter. Sie haben den längeren Atem. Sie beschränken sich nicht auf das einzelne Hirn, auch nicht auf das Superhirn. Sie ziehen ihre Klugheit aus der Fülle sozialer Zusammenhänge, die auch der intelligenteste Kopf nicht durchschaut.
Wenn die Familie klüger ist als alle Familienforscher und Demografen zusammen, warum sollte sie dann nicht schlau genug sein, das Geld und die Erleichterungen anzunehmen, die der Staat ihr zukommen lässt, damit sie mehr Kinder in die Welt setzt? Sie ist es ja. Sie nimmt, was sie bekommen kann. Wenn es |251| geht, fordert sie noch mehr. Ob sie
deshalb
mehr Kinder bekommt oder auch nicht, weiß niemand. Es kursieren die merkwürdigsten Berechnungen. Auf der einen Seite zahle jedes Kind im Laufe seines Lebens Steuern und Beiträge an den Staat, die um 77 000 Euro höher lägen als das, was der Staat insgesamt den Familien zukommen lasse. »Kein Wunder, dass den Paaren die Lust am Kinderkriegen vergangen ist«, sagt der Rechenkünstler Hans-Werner Sinn vom IFO-Institut für Wirtschaftsforschung. 23 Soll wohl heißen: Die Subventionen müssten entsprechend steigen, damit das Kinderkriegen wieder lukrativ und attraktiv wird. Auf der anderen Seite rechnet die Bundesbank, dass der Staat rund 150 Milliarden Euro pro Jahr für Familien ausgibt, davon etwa 70 Prozent bar an die Eltern. Trotzdem sind in Deutschland die Geburtenziffern niedriger als in anderen Ländern, die weniger Geld in die Familien stecken.
Vielleicht liegt es daran, dass die Familiensubventionen in Deutschland ungeschickter eingesetzt werden. Wahrscheinlicher aber ist, dass Eltern und potenzielle Eltern die Rechenspiele im Großen wie im Kleinen gar nicht mitmachen und dass der Fall oder der Anstieg der Geburtenrate von der staatlichen Zuwendung relativ unabhängig ist.
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|252| Kapitel 8
Die Triebkräfte des Geburtenrückgangs und die Chancen des Schrumpfens
Nicht der Staat mit seinem Geld macht Kinder oder Kinderlosigkeit. Das tun die jungen Erwachsenen selbst. Wenn davon etwa jeder dritte kinderlose Mann und jede fünfte kinderlose Frau dauerhaft ohne Partnerin beziehungsweise Partner ist – nicht zuletzt wegen starken Engagements im Beruf –, dann werden diese Ledigen von familienpolitischen Maßnahmen gar nicht erreicht. 1 Die einschlägigen Untersuchungen, die genauer wissen wollen, ob denn nun politische Maßnahmen und Subventionen die Kinderzahl beeinflussen, kommen zu keinen eindeutigen Ergebnissen.
Zu den Wirkungen staatlicher Politik gehören immer auch unbeabsichtigte. Wenn es schon schwierig ist, gewünschte Wirkungen von Familien- und Kindersubventionen auszumachen, dann wird es noch schwieriger, die unerwünschten in vollem Ausmaß zu erfassen. Sie bleiben deshalb gern unbedacht. Und doch gibt es sie. Was Kindern dienen soll – Mutterschutz, Kündigungsschutz, Anspruch auf Elternzeit und Freihaltungsanspruch, Sonderanspruch auf Verringerung der Arbeitszeit und Teilzeitanspruch für Mütter und Väter, Erziehungsurlaub –, kann Eltern schon im Vorhinein den Job kosten. Was auf die finanziell angespannte Lage der jungen Familien hinweisen soll – die öffentlich vorgerechneten Kosten für jedes Kind –, mag einige erst recht vom Kinderkriegen abschrecken. Was Politiker, Professoren und Kirchenfürsten als Werte der Familie betonen, entwertet sich durch die Betonung selbst.
Der am wenigsten
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