Weniger sind mehr
politischen und weltanschaulichen Selbstbestätigung von Lebensformen, die immer wieder auf dem Prüfstand stehen. Sie messen ihre Kräfte. Im rhetorischen Kampf wird allmählich deutlich, wer im Laufe der Zeit stärker wird, wer zurückweichen muss. Auf dem Rückzug ist in Deutschland die Hausfrauenehe. Der Siegeszug des Doppelverdienerpaares scheint unaufhaltsam. Auf die Kosten und Selbsttäuschungen dieses Modells, besonders für Frauen mit Kindern, hat Eva Herman nachdrücklich aufmerksam gemacht. Ihr Buch wirkte wie ein Paukenschlag. Aber gerade die hämischen und ironisierenden Reaktionen darauf machen deutlich, dass die Welt der häuslichen Mutter und des berufstätigen Vaters, für die es noch einmal eine Lanze bricht, dahinschwindet.
Trotzdem, was die Analyse der sozialen Spannungslage moderner Frauen angeht, übertrifft der Wirklichkeitssinn von Frau Herman den der meisten Soziologen, Feministinnen und anderen Protagonisten der Modernität bei weitem.
Was diese uns als zukunftsweisende Realität ansinnen, ist nichts als Wunschdenken. Es konzentriert sich in zwei Idealbildern. Bild Nummer eins: die Frau als Superwoman, verkörpert in den Ikonen der neuen Zeit, vom Model Heidi Klum bis zur Ministerin Ursula von der Leyen. Porträtiert werden die Ikonen der Modernität von den Journalistinnen Anke Dürr und Claudia Voigt:
Die Unmöglichen – Mütter, die Karriere machen
. 2 Der Titel des Buches trifft ins Schwarze. Was darin beschrieben wird, ist pure Realität: Es gibt die in Beruf und öffentlichem Leben erfolgreichen Frauen. Andererseits ist dieselbe Realität höchst irreal und irreführend. Eine Minderheit von höchstens 5 Prozent prominenter und privilegierter Frauen wird der sich abkämpfenden Mehrheit als Vorbild vorgehalten mit dem Unterton: »Na seht doch, es geht doch!« Dem doppelt schlechten Gewissen der unter dem Überlastungssyndrom ächzenden Mehrheit – ich bin nicht |256| genug für meine Kinder da; ich gebe nicht alles im Beruf – wird noch eine dritte Dimension hinzugefügt: Ich bin nicht so gut wie die anderen.
Das Idealbild Nummer zwei ist der Neue Mann. Er wird endlich all das tun, was berufstätige Mütter auch machen, und zwar zu gleichen Teilen: 50 Prozent der Hausarbeit, 50 Prozent der Besorgungen, 50 Prozent der Kinderbetreuung, 50 Prozent der Krankenpflege, 50 Prozent des Berufs. Diese partnerschaftliche und Gleichstellungsvision hat nach wie vor etwas Berückendes wie alle Utopien. Sie hat nur einen Nachteil: Obwohl seit mindestens 40 Jahren in aller Munde und von niemandem als Norm des zeitgenössisch-guten Lebens bestritten, verwirklicht sie sich nicht. Die in dieser Zeit empirisch registrierbaren Änderungen des Mannes sind gering. Die wirklichen Änderungen der Frau sind auch nicht viel größer. Ob das nun an genetisch-anthropologischen Konstanten liegt oder an den hartnäckigen Hochleistungsforderungen, die das Berufssystem in erster Linie an den Mann, die Mutterschaft in erster Linie an die Frau stellt, mag dahingestellt bleiben.
Der französische Soziologe Jean-Claude Kaufmann hat in einer bestechend nüchternen und komisch-tragischen Analyse nachgezeichnet, wie Paare, die unter dem Banner der Partnerschaft aufbrechen, um ihre häuslichen Aufgaben gleich und gerecht zu verteilen, nach kurzer Zeit, besonders nach der Geburt von Kindern, wieder in die alte Rollenverteilung zurückfallen. Es sind besonders die Frauen, die aufgrund von überkommenen eigenen Reinlichkeits-, Ordnungs- und Häuslichkeitsidealen – von Mutterschaft zu schweigen – unversehens wieder »in die Falle der Frau« tappen. 3
Mit dem Idealbild der gleichberechtigten Partnerschaft ist es genauso wie mit dem Idealbild der Ikone: In wenigen Prozent aller Fälle, insbesondere wenn Männer von beruflichen Zwängen befreit sind oder sich ihnen entziehen können, wird es Realität. Für die übergroße Mehrheit aller Paare aber bleibt es eine Zukunftsverheißung und für die Fürsprecher neuer Lebensformen eine in |257| der Zukunft zu erzwingende Realität. Dass sich Realität in die jeweils gewünschte Richtung drängen lasse, zeugt allerdings von wenig Sinn für Realität. Die zukunftsbeflissenen Kritikerinnen und Kritiker von Frau Herman machen sich und anderen etwas vor, wenn sie den weiblichen Superman und den männlichen Neuen Mann, die realen Grenzfälle des modernen Lebens – und dies seit 40 Jahren! –, zur Norm für alle erklären.
Und doch setzt diese wirklichkeitsverleugnende Sicht der
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