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Weniger sind mehr

Titel: Weniger sind mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Otto Hondrich
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erkannte und gleichwohl gewichtigste Misserfolg staatlicher Geburtenpolitik könnte aber in ihrem Erfolg liegen |253| – wenn er, etwa durch eine gewaltige Subventionssteigerung, einträte. Es werden staatliche Mittel in den Reproduktionsbereich geleitet, die dann selbstredend in anderen Bereichen fehlen. Es werden Leute zur Elternschaft bewogen, die es mangels Liebe, Interessen und Fähigkeiten oder kraft hervorragender anderer Interessen oder Fähigkeiten aus freien Stücken nicht geworden wären. Es werden Kinder in die Welt gesetzt, die der Familie von anderen gesellschaftlichen Systemen – Wirtschaft, Bildung, Politik, Militär und weiteren – nicht abgenommen werden. Es wird gegen die Eigenlogik dieser Lebenssphären das Subsystem Familie subventioniert – zum Schaden der Qualität und der Selbststeuerungsfähigkeit der Familie; und zum Schaden des Ganzen, das die Spannungen zwischen seinen subventionierten und seinen sich frei bewegenden Subsystemen auffangen muss.
    Dass die Familie im Reigen der verschiedenen Lebenssphären das schwächste und von vornherein schutzbedürftigste Glied sei, ist eine Annahme, die sich durch nichts rechtfertigen lässt. Wenn Wirtschaftssysteme kollabieren und politische Systeme alle Legitimation einbüßen und zu bestehen aufhören, wenn Kriege und Katastrophen das Land verwüsten und soziale Institutionen außer Kraft setzen: dann bleibt die Familie, trotz vieler Opfer im Einzelnen, immer noch bestehen. Anders als die Großinstitutionen ist sie mit ihren Millionen von kleinen Einheiten auf Risikominimierung angelegt. Wenn ein Teil der vielen Kleinfamilien scheitert und vergeht, überlebt immer noch ein anderer – in der Regel größerer – Teil, der sich selbst stabilisieren und erneuern kann.
    Dass das nur mithilfe des Staates und der von ihm gesetzten »Rahmenbedingungen« möglich sei, ist eine gewohnte und gedankenlose Art zu reden. Es ist sowohl richtig als auch falsch. Richtig ist, dass der Staat mit seinem Gewaltmonopol und der Fähigkeit, kollektiv verbindliche und legitimierte Entscheidungen zu treffen, für die Familie wie für alle anderen Lebenssphären eine unverzichtbare Ergänzung bedeutet; sie müssten sonst mit der |254| Gewalt und allen äußeren Bedrohungen selbst zurechtkommen, also Staatsfunktionen übernehmen. Falsch ist die weithin geteilte Vorstellung, dass die staatlich zu setzenden Rahmenbedingungen umso besser seien, je mehr Mittel sie aus anderen Sozialsystemen in die Familie lenken und je mehr sie deren »Produktion« von Nachwuchs anheizen.
    Im Wettbewerb konkurrierender Lebensformen mag die Politik die Rahmenbedingungen so setzen, dass kinderreiche Familien entlastet und kinderlose Familien und Ledige belastet werden. Der Ausgleich zwischen den Lebensformen wie auch zwischen allen anderen Gruppen und Klassen der Gesellschaft bleibt aber eine Frage der Gerechtigkeit und der darauf gerichteten Staatskunst. Er ist nicht dadurch vorzuentscheiden, dass kinderreiche Familien für die Allgemeinheit besser seien als kinderarme und dass der Fall der Geburtenrate schlechter sei als ihr Anstieg.
    Tatsächlich weiß niemand, mag er sich als wissenschaftlicher Fachmann oder als Politiker verstehen, ob kinderreiche Familien für die Gesellschaft besser sind oder die Zwei-Kinder-Familie oder gar der ledige Bürger. Was wir wissen, ist nur, dass der Fall der Geburtenrate ein nicht wegzudenkender Bestandteil des Evolutionsprozesses ist, der uns in den letzten 200 Jahren alle Errungenschaften der Kultur, vom Massenwohlstand bis zur Gleichberechtigung, gebracht hat, auf die wir unter keinen Umständen verzichten möchten. Was wir wiederum nicht wissen, ist, ob die Fertilitätsrate, nun bei 1,8 oder 1,4 oder gar nur einem Kind pro Frau ankommend, zu tief fällt oder nicht.
    Die Politik befindet sich, die anderen Lebenssphären auch, nun in einem besonderen Versuchs-Irrtums-Lernen. Mit ihren Gesetzen, Subventionen, Vereinbarkeitsregelungen in Bezug auf Familie und Beruf setzt sie Signale für mehr Kinder und wartet, ob sie wahrgenommen werden. Sollte das so sein, dann bleibt wiederum abzuwarten, ob ein Ansteigen der Kinderzahlen den verschiedenen Lebensbereichen und der Gesellschaft insgesamt gut tut. Die aufgeregten Debatten über die Kinderfrage, in der Regel verbunden |255| mit der Forderung nach einer »Wertediskussion«, haben, so viel kann man sagen, auf die Geburtenentwicklung keinen Einfluss.
    Ihre Funktion liegt in anderen Bereichen. Sie dienen der

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