Weniger sind mehr
geben Vorteile der sozialen Arbeitsteilung, die sich über Jahrhunderte und Jahrtausende entwickelt haben, preis. Und sie stellen, wie bereits gezeigt, eine Überforderung dar, unter der besonders die Frauen leiden. Eher schlafwandlerisch als kalkuliert versuchen die Menschen, etwas von den Doppel- und Dreifachbelastungen abzuschütteln. Dahinter steckt nicht böser Wille, sondern – fast möchte man sagen, eine instinkthafte – Neigung zum Selbstschutz. Entweder man bekommt einfach weniger Kinder. Oder Frauen, die Mütter werden, ziehen sich aus dem Beruf zurück, genauso wie Männer, die Väter werden, plötzlich schrecklich viel im Büro zu tun haben, um häusliche Belastungen zu vermindern.
Die partizipative Leitidee: alle sollen an allem teilhaben, hat nicht nur früh-utopische Demokraten fasziniert, sondern durchzieht wie ein roter Faden auch den jüngsten, von Sozialwissenschaftlern gemachten Familienbericht. Sie verwirkt sich selbst. Und wie von selbst setzt sich die trockenere Idee der sozialen Arbeitsteilung wieder durch. Diesmal aber nicht so sehr als klassische Aufgabentrennung zwischen Mann und Frau, sondern als eine zwischen den Paaren, die Kraft, Mut und Familiensinn genug haben, um trotz Doppelbelastung Kinder in die Welt zu |260| setzen, und den anderen, die sich sozial und familial zu schwach fühlen und ganz in beruflichen, politischen, karitativen und ähnlichen Funktionen aufgehen. Sie können dort höchste Leistungen erbringen oder scheitern. Eltern jedenfalls werden sie nicht.
Dass sich in modernen Gesellschaften zwischen Eltern und Nichteltern Klüfte und Grabenkämpfe auftun, gehört zu den Ammenmärchen wie das vom Krieg der Generationen. Konflikte ja – sie sind sozial lebenswichtig. Wem was zusteht, wer wie viel zahlt, wer welche Vorteile und Nachteile hat: Das alles ist bestreitbar und verhandelbar. Aber die Diskussionen bringen die Streithähne eher zusammen als auseinander. Man argumentiert zwar gegen die andere Seite, aber man hört auch deren Argumente, zum Beispiel wie viel Steuern Kinderlose zahlen, wofür sie sich ehrenamtlich engagieren, was sie für Nichten und Neffen und befreundete Familien tun. Schon immer waren die ledige Tante und der eigenwillige Onkel wichtige Bindeglieder zwischen dem engeren Familienclan und der Welt der Freizügigen und Einsamen. Welch faszinierende Rolle spielt der ledige Luftikus und Hypochonder Christian Buddenbrook für seinen feinsinnig-behüteten Neffen Hanno! Was oft vergessen wird: Auch Kinderlose entstammen immer Familien mit Kindern und bleiben Kindern aus ihrer weiteren Familie oder anderen Familien verbunden. Genauso wie die Konflikte zwischen Generationen, werden auch die Konflikte zwischen Eltern und Kinderlosen überwölbt und aufgehoben von schlichten Gefühlen des Zusammengehörens, Aufeinanderangewiesenseins oder, technischer gesprochen, der Arbeitsteilung.
In jeder Arbeitsteilung ist das Aufeinanderangewiesensein enthalten. Es bilden sich deshalb auch Gefühle des gegenseitigen Bedürfens. Den Beteiligten können diese Gefühle äußerst zuwider sein. Sie werden deshalb nicht selten unterdrückt und bleiben unbewusst. Welcher Herr möchte sich schon eingestehen, dass er auf seinen Knecht, welcher Knecht, dass er auf seinen Herrn angewiesen ist! Und welcher gesellschaftskritische Intellektuelle des allermodernsten Zuschnitts führt sich schon gern vor Augen, |261| dass er als öffentlicher Rundfunkjournalist oder Professor von den Steuerzahlungen der von ihm geschmähten Agenten des Kapitals ebenso abhängig ist, wie er als freier Autor die Bildungsbürger oder ein Massenpublikum braucht, das seine Bücher kauft!
So ist auch das Verhältnis zwischen Eltern und Kinderlosen eins der gegenseitigen Abhängigkeit. Dass Kinderlose die Kinder von anderen brauchen, um als soziale Wesen irgendwie weiterzuleben, pfeifen in der gegenwärtigen Diskussion die Spatzen von den Dächern. Aber auch die Eltern, die schwer zu schuften haben, um zahlreiche Kinder großzuziehen, brauchen die Nonnen und Mönche, Priester und Professoren, die Ärztinnen und Forscher, die Unternehmer und Entwicklungshelfer, kurz alle, die ihrer Berufung und Arbeit so leidenschaftlich hingegeben sind, dass für Familie und Kinder in ihrem Leben kein Raum bleibt.
Und auch, wo die große Passion und Kompetenz für eine Sache fehlt, sind Kinderlose im – nicht nur ökonomischen – komplexen Gefüge der Arbeitsteilung unabkömmlich. Von allen Gesellschaftsmitgliedern
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