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Weniger sind mehr

Titel: Weniger sind mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Otto Hondrich
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weniger Menschen arbeiten. Je intensiver die Konzentration auf Arbeit und Produktivitätssteigerung, desto weniger Zeit und Muße bleibt für die Aufzucht von Kindern.
    Wenige Kinder kosten aber auch wenig. Die Systeme sozialer Sicherung finden so, in einem Verfahren von Versuch und Irrtum ihren Weg: zwischen Verringerung der Kinderzahl einerseits, die durch Produktivitätssteigerungen sowohl verursacht wie auch unschädlich gemacht wird, und wachsendem Einbezug von Frauen und Zuwanderern hoher Qualifikation andererseits. Eine Lücke in den Systemen sozialer Sicherung aufgrund fallender Geburtenraten entsteht nicht. Sie erwächst nur, als rein hypothetisches Konstrukt, in den Köpfen von Alarmisten, die die Flexibilitäten und selbststeuernden Mechanismen im System sozialer Sicherung |97| ignorieren. Sie stürzen sich auf eine Zahl oder Zahlenreihen, entzünden an ihr ein ganzes Feuerwerk der Panik, bauen auf eine intuitive Problemangst und vernebeln die Problemlösungen, die in den Vorgängen selbst enthalten sind.
    Ein Beispiel dafür ist der sogenannte Altersquotient, die Zahl der Rentner im Bezug zu Menschen im Erwerbsalter zwischen 20 und 64 Jahren. 1995 hatten in Deutschland vier Erwerbstätige einen Rentner mitzuversorgen, 2010 werden sich nur noch drei Erwerbstätige diese Aufgabe teilen, für 2030 ist prognostiziert, dass zwei Erwerbstätige einen Rentner miternähren müssen. In anderen Ländern ist diese Tendenz ähnlich. Für die Rentenversicherung in den USA wird eine dramatische Verschlechterung des Verhältnisses von Beitragszahlern zu Leistungsempfängern konstatiert: 1950 gab es 16 beitragszahlende Arbeitnehmer je Rentner, heute sind es nur noch 3,3, im Jahr 2031 müssen die Beträge von 2,2 Arbeitnehmern ausreichen, um einen Rentner zu finanzieren. 3 Und das in einem Land, dessen Fertilitätsrate von 2,1 Kindern pro Frau sich auf einer von hiesigen Demografen idealisierten Höhe bewegt!
    Nicht die Fertilitätsrate, sondern, unter anderem, die längere Lebensdauer ist also schuld an der »Verschlechterung« des Altersquotienten. Und wenn die Rede und Denkweise von der jetzigen und zukünftigen Verschlechterung richtig ist, dann muss es ja früher besser gewesen sein. 16 Arbeiter hatten nur einen Rentner zu versorgen! Paradiesische Zeiten! Wie viel leichter müssen es die Arbeitenden damals also gehabt haben, wie viel besser muss es ihnen und den Rentnern gegangen sein! War es wirklich so? Die Frage stellen heißt, sie verneinen. Die Realeinkommen aus Arbeit und Renten waren viel niedriger als heute. Obwohl der Altersquotient damals so viel günstiger war!
    Die Wohlstandssteigerung für alle ist also mit einer Verschlechterung des Altersquotienten einhergegangen. Mit anderen Worten: Die Verschlechterung des Altersquotienten kann so schlecht nicht sein. Sie dient sogar der Wohlstandssteigerung. Zumindest |98| enthält sie im Kern eine Erklärung dafür: Es ist die Produktivitätssteigerung in Verbindung mit produktiven Einwanderern und produktiver Frauenerwerbstätigkeit. Diese Faktoren sichern, in flexibler selbststeuernder Abstimmung aufeinander, die Leistungsfähigkeit der sozialen Sicherungssysteme. Die langfristig sinkende Geburtenrate trägt zu deren Entlastung bei. Weit entfernt davon, das Problem der sozialen Sicherungssysteme darzustellen, ist sie vielmehr Teil der Problemlösung.
    Auch andere Aspekte der Problemlösung werden in der aktuellen Diskussion nahezu ausgeblendet. Dazu gehört, dass Rentner – wie alle Konsumenten – trotz Rentenkürzungen ihren Lebensstandard kaum zu senken brauchen, sofern sie billige Waren und Pflegeleistungen aus Niedriglohnländern kaufen können; deren Preise sind hierzulande oft deshalb so sensationell niedrig, weil ihre Herstellung und Bereitstellung wegen des hiesigen hohen Produktivitäts- und Lohnniveaus ins Ausland verlagert wurde.
    Übersehen wird in der Diskussion auch meist, dass Rentner für die sozialen Sicherungssysteme und die darin einzahlenden Berufstätigen nicht nur eine Belastung sind. Die meisten Leute, die offiziell im Ruhestand sind, sind so ruhig nicht. Sie legen die Hände nicht in den Schoß. Was sie zur gesellschaftlichen Wohlstandsproduktion und zur Entlastung der Berufstätigen beitragen, ist schwer zu ermessen, aber beträchtlich. Es reicht von Nachbarschaftshilfe mit fließenden Übergängen zur Schwarzarbeit über häusliche Pflegeleistung und Unterstützung der Pflegenden bis hin zur handwerklichen und gärtnerischen

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