Weniger sind mehr
verbunden sind, ob sie diese nun vorausdenkend einkalkulieren oder schlicht ignorieren. So oder so, in beiden Fällen haben Familie und Kinder für die zukünftigen Eltern einen Eigenwert, der sich ökonomischem Kostenkalkül entzieht. Menschen |163| (Eltern) dieses Schlages praktizieren intuitiv eine Ethik sozialer Differenzierung, wonach die Familie – wie andere Lebenssphären auch – sich am eigenen Leitwert und nicht an dem der Ökonomie orientiert. Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps, diese platte Formel enthält eine überaus moderne Moral der Grenzziehung zwischen Systemen. Die Familie ist die Familie, und die Wirtschaft ist die Wirtschaft, könnte man auch sagen.
Für prospektive Eltern, die die hohen Opportunitätskosten des Kinderkriegens nicht scheuen oder ignorieren, gilt Ähnliches. Wenn es um Familie geht, überwinden sie das Kostendenken oder sind gar keine Kostendenker. Der Begriff der Opportunitätskosten ist ja auch nicht ihr eigener. Er ist ihnen vielmehr von denjenigen Demografen und Sozialwissenschaftlern untergeschoben worden, die die Familie mit den Kriterien der Wirtschaft oder der Politik analysieren und kurieren wollen. Als Wirtschafts- und Staatsbürger mögen Eltern jenen Leitwerten durchaus den Vorrang geben, als Familienmenschen aber nicht. Was sind für sie schon alle Verlockungen der Karriere, des Reisens, des Ruhms angesichts des Glücks dank Kindern!? Jedenfalls kann man die Verlockungen hintanstellen, ob der Verzicht nun als groß oder klein empfunden wird.
Auch in Bezug auf ihre Ansprüche aneinander und in Bezug auf die erwarteten Kinder stellen Eltern heute etwas Besonderes dar. Sie unterscheiden sich sowohl von Eltern früher als auch von Nichteltern heute. In vergangenen Zeiten stellten Eltern nicht so hohe Ansprüche aneinander und an die Kinder, die noch »unterwegs« waren. Sowohl für Partner wie auch für ungeborene Kinder waren die Möglichkeiten des Beziehungsabbruchs, der Korrektur, der Neuwahl viel geringer als heute. Ob der Partner »der/die Richtige« ist, kann man sich heute immer wieder fragen. Ob das ungeborene Kind »das Richtige« ist, wird mit den Mitteln einer pränatalen Medizin, die es früher gar nicht gab, ständig überprüft.
Verglichen mit Nichteltern stellen Eltern heute ihre »Richtigkeitsansprüche |164| « aneinander und an ihre zukünftigen Kinder zurück. Sie nehmen Rücksicht aufeinander. Sie machen Abstriche von ihren Idealbildern. Sie verhandeln. Sie einigen sich. Sie nehmen Risiken in Kauf. Sie entscheiden sich füreinander und für ein nichtmakelloses (Adoptiv-)Kind, obwohl sie doch auf den Richtigen oder die und das Richtige immer noch warten könnten. Man kann es auch so sagen: Familienmenschen haben in irgendeiner Weise ihre Qualitätsansprüche aneinander und an ihre Kinder zurückgenommen – und darin liegt gerade ihre besondere Qualität.
Betrachten wir den gleichen Vorgang des Kinderkriegens und der Familienbildung noch einmal aus der Sicht der noch ungeborenen, aber auf dem Weg in die Welt befindlichen Kinder. Ein Baby ist heute da, lange bevor es auf die Welt kommt. 25 Das bedeutet nicht nur, dass es im Flimmern des Ultraschalls gesehen, in der Fruchtwasseruntersuchung geprüft, in der gemeinsamen Vorgeburtsgymnastik beider Eltern erfühlt, in ihren Einkäufen und Einrichtungen des Kinderzimmers vorausgedacht wird. 26
Es heißt auch, dass sich das Kind seine Eltern in der Regel schon ausgesucht hat, lange bevor es gezeugt wurde. Es sind Eltern, die die modernen Hindernisse der Familiengründung überwunden haben. Die noch nicht geborenen Kinder haben sie dazu gebracht. Wie bereits erwähnt: Es sind Hindernisüberwindungskinder. Insofern sind sie »bessere« Kinder als diejenigen, die die Hindernisse nicht übersprungen oder, wie früher, gar nicht vorgefunden haben. Für die Eltern als Hindernisüberwinder gilt das genauso. Sie müssen mehr aus dem Weg räumen als frühere Eltern. Und sie sind, im Vergleich zu Nichteltern, zwar nicht die besseren Menschen, aber die besseren Familienmenschen. Die Qualität der Familien steigt, wenn nur noch solche Familien entstehen beziehungsweise sich fortzeugen, die die erhöhten Hürden nehmen, durch die die moderne Familie sich abgrenzt. Das sind weniger Familien als zuvor. Geringere Quantitäten und höhere Qualität der Familie bedingen einander.
|165| Die Rückkehr der patriarchalischen Großfamilie?
Der amerikanische Demograf Phillip Longman hat jüngst eine interessante
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