Weniger sind mehr
These über den Zusammenhang von Geburtenrückgang und der Wiederkehr der patriarchalischen Großfamilie veröffentlicht: 27 Fallende Geburtenraten in den westlichen Ländern schürten die Angst vor dem Aussterben, und diese Angst riefe, gegenüber einer liberalen Lebenshaltung, konservativ-rigide Werte auf den Plan. Der konservative Teil der Bevölkerung setze mehr Kinder in die Welt als der liberale. Das gelte für Europa wie für Amerika. Wo man abweichendes Verhalten wie den Konsum von weichen Drogen oder Homosexualität akzeptiert, weniger in die Kirche geht, dem Militär eher misstraut, werden weniger Kinder geboren als in den konservativen Milieus. Da die kinderlosen und kinderarmen Milieus ihre Gene und liberalen Ansichten nicht weitervererben, stürben sie aus, während die kinderreichen konservativen Familien sich ausdehnten, prognostiziert Longman. Die aufgeklärten kinderarmen Gesellschaften verlöschten zwar nicht vollständig, transformierten aber ihre Kultur im Innern: Traditionell-patriarchalische Werte verdrängten die liberal-egalitären, und das aufgrund eines darwinistischen, biologischen Mechanismus der Evolution. »Das ausgedehnte kinderlose Segment der heutigen Gesellschaft, dessen Mitglieder überproportional aus der feministischen Bewegung und der Gegenkultur der sechziger und siebziger Jahre stammen, wird kein genetisches Erbe zurücklassen«, heißt es bei Longman, »und es wird ebenso wenig emotionalen oder psychologischen Einfluss auf die nächste Generation ausüben.« 28 Der Trend werde noch dadurch verstärkt, dass, wie Longman annimmt, die konservativ-kinderreichen Familien auch Kinder besserer Qualität hervorbrächten. Eine Begründung dafür findet sich allerdings nicht.
Longman folgt schlicht dem Vorurteil, dass die kleineren Familien auch die schwächeren und schlechteren, da weniger angepassten seien und deshalb ausstürben. Er übersieht, dass, wie |166| ich oben gezeigt habe, mit der Verkleinerung von Familien ihre Qualität sogar wächst.
Tatsächlich dünnen Familien mit nur einem oder gar keinem Kind früher aus als solche mit vielen Kindern. Aber die großen Familien pflanzen sich nicht in voller Größe fort. Auch sie werden kleiner – und zwar nicht unter biologischen, sondern auch unter soziokulturellen Zwängen. Obwohl scheinbar frei, werden sie durch kulturelle Evolution dazu gezwungen, weniger Kinder zu bekommen: durch steigenden Wohlstand und längeres individuelles Leben; durch Anforderungen und Verlockungen der Wirtschaft, der Freizeit, der Politik und anderer Sozialsysteme; und schließlich durch den Leitwert der Liebe selbst, der zu kleinen Familien drängt. Die kleine Familie, die, wie Longman annimmt, biologisch aussterben müsste, reproduziert sich also soziokulturell. Die großen Familien, die aus der Perspektive der biologischen Evolution überdauern und dominant werden müssten, werden durch soziokulturelle Evolution verkleinert. Sie stellen somit das Reservoir dar, aus dem sich die kleinen Familien bedienen und erneuern, obwohl sie sich biologisch kaum reproduzieren.
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|167| Kapitel 5
Der Geburtenrückgang im Kampf der Kulturen
Es gibt Kulturen innerhalb der Kultur. Was Longman für den Konflikt zwischen liberal-aufklärerischer und konservativtraditionalistischer Haltung innerhalb der westlichen Kulturen prognostiziert, den Untergang des liberalen Teils durch einen biologischen Evolutionsmechanismus, verunsichert als Selbstverschwindensangst den gesamten Westen. Man vergleicht seine niedrigen Geburtenraten mit den hohen der nichtwestlichen Kulturen. Man liest in den Statistiken, dass der Anteil des Westens an der Weltbevölkerung von derzeit knapp 20 Prozent in den nächsten Jahrzehnten auf unter 15 Prozent fallen wird. 1 Hierzulande beobachtet man, wie sich die Parks, Sandkästen und Fußballplätze mit Kindern füllen, die nicht oder nur gebrochen Deutsch sprechen. Der Westen fühlt sich von kinderreichen Kulturen auskonkurriert.
Kulturverlust – ein Angsttraum
Die Angst, sich selbst zu verlieren, gibt es im Westen nicht erst seit heute. Das westliche Denken hat eine Geschichtsschreibung und Wissenschaft vom Aufstieg und Untergang der Kulturen hervorgebracht und auf sich selbst angewendet. Dies reicht von Oswald Spenglers
Untergang des Abendlandes
(1918/1922) und den Werken Arnold Joseph Toynbees bis zu neueren Arbeiten, in denen besonders die Übermacht Amerikas kritisch hinterfragt |168| wird. 2 Rationale Analysen sind
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