Weniger sind mehr
führt die soziologische Vergrößerung von Familien dazu, dass »die« Familie sich nun aus weniger und größeren Einheiten zusammensetzt.
Statistiken, die das Letztere überprüfen, also die Zahl der soziologischen oder sozial realen Familien feststellen würden, gibt es verständlicherweise nicht. Jedoch zeigt der jüngste Mikrozensus, dass auch die Zahl der statistischen Familien in den letzten zehn Jahren leicht zurückgegangen ist, obwohl die Zahl der Haushalte anstieg. Dies mag, mit aller Vorsicht, so interpretiert werden, dass der Geburtenrückgang über steigende Kinderlosigkeit – und nicht nur über Verringerung kinderreicher Familien – erste Wirkung zeigt. Die Alarmisten unter den Demografen mögen hier ein »Familiensterben« heraufziehen sehen.
Schauen wir genauer hin. Wer zunächst tatsächlich ausstirbt, sind die kinderlosen Frauen selbst als Individuen, mitsamt ihren Genen, persönlichen Vorzügen und Schwächen sowie den soziokulturellen Prägungen, deren Träger sie sind. Mitsamt auch ihren Männern, so sie mit welchen verbunden sind und so diese anderwärts keine Kinder haben. Vom Aussterben betroffen ist also zunächst eine Zahl von Singles und Partnerschaften beziehungsweise Kleinstfamilien. Vom Verlöschen betroffen sind allerdings im gleichen Zug auch die Elternfamilien der Kinderlosen, sofern diese je nur ein Kind haben, aber auch wenn sie mehrere Kinder haben, die alle ihrerseits |157| kinderlos bleiben. Kein Wunder, dass diese Eltern, die aufgrund eigener »Vorleistung« gern Großeltern geworden wären, ihr eigenes Aussterben in der übernächsten Generation als schmerzlich empfinden. Möglich ist auch, dass die Großeltern und Ur-Großeltern der Kinderlosen ebenfalls aussterben. Aber dies wird unwahrscheinlicher, je weiter man in der Ahnenreihe zurückgeht. Denn da finden sich alsbald Geschwister, Cousins und Cousinen, die Kinder haben, und meist mehr als eins.
Was als Aussterben der Familie dramatisiert wird, ist also das Verlöschen einzelner Familienzweige, während andere sich in die Breite und in die Tiefe verzweigen. Was der sich fortsetzende Geburtenrückgang, insbesondere die Kinderlosigkeit einer großen Zahl von gebildeten Frauen, bewirkt, ist also eine
Verringerung
der Zahl der Kernfamilien
, wie sie sich im Mikrozensus bereits abzeichnet. Auch die statistisch nicht erfassbaren, aber soziologisch realen selbst definierten Familien, die ja in der Regel größer sind, werden weniger. Die Familie als gesellschaftliches Gesamtsystem, das alle einzelnen Familien umfasst, wird dadurch kaum berührt. Nur die Binnengliederung verändert sich. Sie enthält weniger, aber vermutlich größere Realfamilien. 23
Die »bessere« Familie
Das Scheitern oder Sterben Einzelner sichert den Bestand des Ganzen. Das trifft nicht nur auf individuelle Familien und die Familie als System oder für individuelle Unternehmen und das System der Unternehmenswirtschaft zu. Es gilt auch für individuelle Wirtschaftssysteme, etwa sozialistische Planwirtschaften und die Weltwirtschaft. Es gilt auch für individuelle Religionsgemeinschaften und die Religion insgesamt; für (absteigende) Fußballmannschaften und die Fußballliga insgesamt. Es gilt schließlich auch für Menschen, die als Individuen sterben müssen, und den Bestand der Menschheit insgesamt.
|158| Für Familien ebenso wie für die anderen Lebenssphären ist allerdings zu prüfen, ob die Bestandserhaltung des Ganzen durch das Scheitern Einzelner die
Qualität
des Ganzen erhöht. Aus den Untertönen der öffentlichen Meinung, die allerdings durch politische Korrektheit in Schach gehalten werden, ist eher das Gegenteil zu vernehmen: Ausgerechnet die intelligentesten, gebildetsten, strebsamsten, tüchtigsten, modernsten Frauen bleiben zu einem großen Teil ohne Nachkommen. Ob es gesagt wird oder unausgesprochen mitklingt, die Vorstellung liegt in der Luft, dass der genetische Pool und die soziokulturellen Fähigkeiten der Gesellschaft ungenutzt bleiben, ja dass es auch noch »die Falschen«, nämlich die sozial Schwachen sind, die die ohnehin wenigen Kinder der Gesellschaft bekommen. Dass dies der Qualität der Gesellschaft und der Familie nicht guttun könne, liegt als unthematisierter Schleier über einer Diskussion, die ohnehin von Tabus umstellt ist.
Nur in den Tiefen des Internets – und allein schon deshalb dubios – gibt es gelegentlich Stellungnahmen, in denen der Gesellschaft die Missachtung ihrer Intelligenzpotenziale vorgerechnet
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