Wenigstens für eine Nacht
wolle er mich beschützen, legt er behutsam einen Arm um mich, während seine Eltern mit sich ringen etwas zu äußern oder es doch besser zu lassen. Doch Sebastian kommt ihnen zuvor.
„Ich bringe Julian nach Hause“, teilt er ihnen und mir gleichermaßen knapp mit und führt mich hinaus. Teilnahmslos lasse ich es mir gefallen und erfasse noch nicht warum er das tut, als ich auch schon von Sebastian in den schwarzen Mercedes befördert werde, bevor er hinzusteigt und Jeff meine Adresse mitteilt.
„Meine Tasche“, flüstere ich lautlos. Was Sebastian veranlasst den Fahrer zu stoppen. Umgehend springt er aus dem Wagen und verschwindet im Haus, nur um kurz darauf mit meiner Tasche in der Hand wieder zu erscheinen.
„Danke“, versuche ich zu lächeln, obwohl es mir unsagbar schwerfällt, da mir ausgerechnet jetzt die ganzen Stunden,
seit wir gestern hier vor der Villa gehalten haben wie ein Film durch meinen Kopf laufen und mir verdeutlichen, dass ich mich selbst verraten habe.
„Es tut mir ehrlich leid, dass ich dich da mit reingezogen habe. Das hätte ich alles niemals von dir verlangen dürfen. Vielleicht kannst du… kannst du mir das irgendwann verzeihen“, flüstert Sebastian bedauernd, was Jeff durch den Rückspiegel einen Blick zu uns werfen lässt.
„Vielleicht“, wispere ich und senke meinen Kopf, weil ich seinen traurigen, flehenden Blick nicht ertragen kann. Und so verläuft der Rest der Fahrt schweigend. Die angespannte Atmosphäre ist deutlich spürbar und so sehr ich Sebastians Nähe gerne genossen hätte, bin ich überglücklich endlich von ihm wegzukommen, als der Wagen vor meinem Wohnhaus hält.
„Wir sehen uns, ja?“, ruft Sebastian mir noch nach, als ich bereits die Haustür aufgeschlossen habe und so atme ich noch einmal tief ein, ehe ich mich wieder zu ihm umdrehe. Ohne seine Frage beantworten zu können, hebe ich nur meine Hand zum Abschied und lasse die Tür zufallen, damit meine Tränen endlich ihren Weg in die Freiheit finden.
Und auch Stunden später wollen sie einfach nicht versiegen. Keine Ablenkung hat geholfen und selbst meine Wohnung spendet mir nicht den erwünschten Trost und die Geborgenheit die ich sonst nur hier finde. Dennoch schleppe ich mich lustlos ins Badezimmer, damit ich mich für meine Schicht im ` Extraordinary ` herrichten kann, denn es wird weit mehr als ein schlichtes Make-up nötig sein, um die Spuren in meinem Gesicht zu vertuschen.
Großzügig bin ich heute mit meinem Lidstrich umgegangen, sodass man meine Augenringe kaum mehr erkennen kann, auch wenn meine Blässe sich nicht verdecken lies. Ich bin halbwegs zufrieden mit dem Werk und allein der Aufwand hindert mich daran, meinen Tränen erneut die Überhand zu lassen. Und damit das so bleibt, hoffe ich inständig, heute
nicht mehr auf Sebastian zu treffen oder wenigstens genug Kraft zu haben, um ihm aus dem Weg zu gehen.
Doch meine Aussichten zerschlagen sich schon beim Betreten des Lokals. Denn es braucht nicht eine Sekunde bis ich den Tisch ausgemacht habe, an dem Sebastian und seine Freunde sitzen. Viel zu früh allerdings. Da es sonst eher üblich ist, dass sie erst zu fortgeschrittener Stunde hier auftauchen. Alles läuft irgendwie an mir vorbei, als wäre ich selbst nur als Zuschauer anwesend. Automatisiert bewege ich mich in den Personalraum um meine Jacke und Tasche abzulegen, bevor ich wieder nach vorne gehe, wo mich Niklas schon strahlend empfängt.
„Hey, Julian. Na wie war’s? Erzähl doch mal. Warte kurz, ich bring das nur grad zum Tisch“, redet er für meinen Geschmack viel zu gut gelaunt auf mich ein, ehe er sich mit dem Tablett voller Getränke abwendet und es an den Tisch mit seinem Bruder und den anderen Jungs bringt. Nur kurz wage ich einen Blick in Sebastians Richtung und senke ihn sofort wieder, da er mich direkt ansieht.
„Los komm, jetzt erzähl schon. Aus Sebastian ist ja nix rauszukriegen. Was haben die Alten gemacht oder gesagt? Gab’s Ärger? Haben die euch das abgekauft? Mann, Julian. Lass dich doch nicht so anbetteln“, jammert Niklas rum, kaum dass er wieder hinter der Theke steht und von mir schlicht ein genervtes „hast du nicht Feierabend?“ serviert bekommt, woraufhin er beleidigt in den Personalraum abschwirrt.
„Scheiße, man“, fluche ich leise vor mich hin und werfe das Poliertuch unachtsam auf die Theke, um hinter ihm herzulaufen. Weil ich es nicht gebrauchen kann, dass er sauer auf mich ist, bei den wenigen Freunden die ich
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