Wenigstens für eine Nacht
hassen. Warum funktioniert das nicht? In meinem Hals bildet sich ein Kloß, der mich zu ersticken droht, weil die Tränen immer mächtiger werden und ich sie mit aller Kraft zurückhalte. Ich befinde mich in einem reinen Gefühlschaos. Hin und hergerissen zwischen Hoffnung und Verzweiflung.
„Julian! Ich wollte dir gestern nicht wehtun, mit meiner Zurückweisung“, wispert er bedrückt und lässt mich den Kampf gegen die verräterische Flüssigkeit verlieren. Die sich schleichend ihren Weg über meine Wange bahnt und dort von Sebastians Daumen verwischt wird.
„Meine Gefühle spielen verrückt seit ich dich bei meinen Eltern geküsst habe und ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll oder was das alles zu bedeuten hat. Ich mag dich sehr gerne und dass war auch vorher schon so. Immer habe ich mich selber gefragt, warum ich plötzlich einen Jungen interessant finde. Aufgeregt war, wenn ich wusste, dass wir ins `Extraordinary` gehen und jedes Mal auf eines deiner zurückhaltenden fesselnden Lächeln gehofft habe. Dann habe ich bei dem Empfang von deiner Süße gekostet und war völlig überfordert damit. Es hat sich so gut, so richtig angefühlt und den Wunsch in mir geweckt, es wieder zu tun. Gestern das war… wie… eine Erfüllung. Ich kann’s
nicht anders beschreiben. Ich wollte dich schmecken, riechen, fühlen… einen Jungen. Das war zuviel für mich“, versucht er mir flüsternd zu erklären. Aber ich verstehe ihn nicht. Warum muss er mir so wehtun und kann nicht einfach sagen, dass er mich nicht will, weil ich ein Junge bin?
„Tut mir leid, dass ich kein Mädchen bin“, bringe ich kaum verständlich heraus und versuche mich etwas zu sammeln, damit ich wenigstens hoch erhobenen Hauptes hier rausmarschieren kann. Zusammenbrechen kann ich auch zuhause. Für mich allein. Wie immer.
„Nein, Julian. Nein. Du verstehst das völlig falsch. Ich habe die ganze Nacht wach gelegen und nachgedacht. Ich habe mich verzehrt nach dir. Ich wollte bei dir sein und dich im Arm halten. Dich wärmen und küssen. Aber ich habe mich nicht getraut zurückzukommen, weil ich dachte, du wolltest einfach nur Sex von mir. Nichts weiter. Dabei will ich doch eigentlich viel mehr als das“, ist es nicht mehr als ein Wispern, was seine Lippen verlässt und sein trauriger Blick zerreißt mir erneut mein Herz. Ich bin völlig überfahren von seinem Geständnis und kann kaum glauben, was er mir gerade offenbart hat.
„Niklas hat mir vorhin an den Kopf geknallt, dass ich ein Idiot bin“, versucht er ein missglücktes Lächeln.
„Das bist du“, erwidere ich flüsternd.
„Warum?“, haucht er auf eine Antwort bittend.
„Weil…“, setze ich zum Sprechen an und werde durch mein Telefon unterbrochen. Woraufhin ich erschrocken zusammenzucke und auch das kleine Kätzchen auf meinen Beinen aufschreckt. Hastig ziehe ich mein Handy aus meiner Hosentasche und lese im Display `Bernd ruft an`, woraufhin ich Sebastian einen entschuldigenden Blick zuwerfe und das Gespräch annehme.
„Hey Bernd. Was gibt´s?“, komme ich ohne Umwege zum
Punkt, um das Telefonat so schnell wie möglich wieder zu beenden.
„Hallo Julian. Ich hab dich hoffentlich nicht geweckt? Geht’s dir wieder besser?“, redet Bernd drauflos und lässt mich die Augen verdrehen, weil ich gerade weit wichtigeres zu tun habe, als ihm zu erzählen, wie es mir geht. Gleich fängt er noch an übers Wetter zu labern.
„Mir geht’s gut, danke und wach bin ich auch. Also was gibt´s?“, werde ich ungeduldig und beobachte Sebastian, der in Gedanken versunken das schwarze Fell der kleinen Fleckchen krault, während sie immer wieder um ihn herumschleicht.
„Ich kann Niklas nicht erreichen. Hast du vielleicht seine Festnetznummer?“, klingt Bernd völlig aufgelöst und entlockt mir ein Schmunzeln. Unser Chef wird gerne leicht hektisch, wenn etwas nicht nach Plan läuft und macht sich dann selber immer vollkommen verrückt.
„Nee, die hab ich nicht. Aber ich bin grad bei ihm und könnte ihn dir mal geben“, biete ich Bernd kichernd an und ernte zuerst einmal Schweigen am anderen Ende der Leitung.
„Bist du noch dran?“, frage ich vorsichtig nach und flüstere Sebastian „bin gleich wieder da“ zu, bevor ich mich vom Sessel erhebe und aus dem Zimmer auf den Flur laufe.
„Niklas?“, rufe ich gedämpft die Treppe herunter, woraufhin die Zimmertür von Lennox aufgeht und Niklas einen vorsichtigen Blick herauswirft.
„Bin hier. Alles okay
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