Wenigstens für eine Nacht
Sebastians Mutter.
„Ob sie es mir glauben oder nicht, ist mir gelinde gesagt völlig egal. Ich will nur nicht, dass sie meinen Sohn ins Unglück stürzen und das würden sie tun. Egal ob er sie liebt oder nicht. Dieses Mädchen bekommt ein Kind von ihm. Sein Fleisch und Blut. Und Sebastian wird es nicht vernachlässigen oder gar verleumden, nur weil er im Moment eine schwierige Phase durchmacht, in der er sich einredet Männer zu mögen. Er wird zu dem Kind stehen, darauf gebe ich ihnen Brief und Siegel, weil Sebastian viel zu sehr Mensch ist, um sein eigenes Kind abzuweisen. Das würde er nicht mal für sie tun, selbst wenn er sie aufrichtig lieben würde. Was ich allerdings bezweifle“, knallt sie mir ihre Sicht der Dinge eiskalt vor die Füße und ich fühle mich momentan völlig taub und erschlagen von den Informationen.
„Sebastian hätte mir gesagt, wenn dieses Mädchen wirklich schwanger von ihm wäre“, versuche ich mehr mir selbst gut zuzureden und bemühe mich redlich die aufsteigenden Tränen in mir zurückzuhalten. Denn selbst wenn die Anschuldigungen seiner Mutter haltlos sind, so verletzend waren ihre Worte trotzdem für mich. Da ich mir durchaus bewusst bin, dass sie in dem Falle Recht hat. Sebastian würde sich ganz klar für sein eigen Fleisch und Blut und gegen mich entscheiden.
„Es tut mir wirklich sehr leid, dass ausgerechnet ich ihnen diese wenig schöne Nachricht überbringen muss, aber Sebastian weiß noch nichts davon. Deshalb war ich heute Morgen in seiner Wohnung. Ich wollte es ihm mitteilen, als sie gerade hereingeplatzt sind. Es tut mir wirklich leid“, redet sie jetzt mit einer erstaunlich sanften Stimme auf mich ein und sieht mich mit einem ehrlich bedauernden Blick an, den ich wenig einschätzen kann. Ich bin kaum noch in der Lage einen klaren Gedanken zu fassen.
„Glauben sie mir, Herr Leipold. Selbst wenn Sebastian sich gegen das Kind entscheiden würde, dass stünde ständig zwischen ihnen und über kurz oder lang würde er es ihnen vorhalten, dass er für sie auf sein eigenes Kind verzichtet hat. Etwas, dass er von ihnen sowieso niemals haben kann“, dringen ihre Worte unaufhörlich in mein Gehör, wo mein Gehirn krampfhaft versucht das Gesagte zu verarbeiten.
„Nehmen sie Sebastian doch die Entscheidung ab. Beweisen sie Stärke. Wenn sie ihn wirklich lieben, dann sollten sie dafür sorgen, dass Sebastian glücklich wird. Auch ohne sie“, beendet sie ihre Ausführungen und treibt mich mit ihrer Aussage regelrecht aus dem Zimmer.
Überstürzt renne ich durch das riesige Haus, da ich zu ersticken drohe und reiße im Erdgeschoss hektisch die Tür auf. Die zurückgehaltenen Tränen rinnen nun unabdingbar über meine Wangen und Jeff, der gerade den Mercedes poliert, sieht mich überrascht an. Doch bevor er auch nur ein Wort sagen kann, wehre ich ihn kopfschüttelnd ab und laufe so schnell ich kann vom Grundstück. Die Straße entlang, mit tränenverschleiertem Blick, ohne irgendein Ziel. Ich will einfach nur weg. Soweit wie möglich. Und so bin ich Ewigkeiten unterwegs, bis ich irgendwann vor meiner Wohnung ankomme.
Ich bin kaum in der Lage den Schlüssel in das Schloss zu stecken, so sehr zittern meine Finger und lassen mich fast schon hier draußen im Hausflur die Fassung verlieren. Zumindest das letzte bisschen Rest von ihr, was noch übrig
geblieben ist. Wieder bin ich an dem Punkt, wo ich mich frage, warum eigentlich solche Extremsituationen bei mir immer dann eintreten, wenn ich gerade ohne Auto unterwegs bin oder es zumindest nicht greifbar habe. Wieso muss der da oben mich so sehr hassen, dass er mich in solchen Momenten indirekt damit abhält dem allen hier ein Ende zu setzen. Oder aber, er kann getrost auf einen Versager wie mich solange wie möglich verzichten. Hält mich deshalb mit aller Macht hier unten auf der Erde. Auf diesem beschissenen Planeten, wo mir scheinbar kein Glück vergönnt ist. Okay, ich übertreibe vielleicht ein ganz klein wenig, aber die Erkenntnis Sebastian zu verlieren, die Liebe meines Lebens, bevor ich ihn überhaupt richtig hatte, schmerzt so wahnsinnig.
„Kann ich dir helfen, Junge?“, dringt auf einmal fürsorglich die Stimme von meiner Nachbarin, Frau Wegener, an mein Ohr und reißt mich aus meinen Gedanken. Ohne das es nötig ist ihr zu antworten, nimmt sie mir meinen Wohnungsschlüssel aus der Hand und schließt für mich die Tür auf, was ich ihr mit einem missglückten Lächeln danke. Weil sie mich gerade rettet.
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