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Wenn alle anderen schlafen

Wenn alle anderen schlafen

Titel: Wenn alle anderen schlafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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Gips, und der Arzt hatte mir
mitgeteilt, daß sie drei Rippenbrüche sowie erhebliche innere Verletzungen,
darunter den Kollaps eines Lungenflügels und einen Milzriß, davongetragen habe.
Vieles davon hätte nicht sein müssen, wäre sie bei ihrer Bruchlandung
angeschnallt gewesen.
    Obwohl ihre Augen auf den
kleinen, hoch an der Wand angebrachten Fernseher gerichtet waren, sagte mir ihr
glasiger Blick, daß sie die Talkshow, die gerade lief, nicht wirklich
mitkriegte. Ihre linke Hand spielte mit der Fernbedienung, fuhr in einem
monotonen Muster deren Konturen nach. Doch als sie mich sah, wurde ihr Gesicht
lebendiger, und sie stellte den Fernseher ab.
    »Sharon! Ich wußte, daß Sie
kommen würden. Das ist alles ein Riesenmißverständnis, stimmt’s?«
    Ich an ihrer Stelle hätte den
Polizeiposten gerufen und mich aus dem Zimmer entfernen lassen. Doch D’Silva
hatte sich schon mit mir identifiziert, ehe wir uns überhaupt begegnet waren,
und sie hing vermutlich immer noch der wahnhaften Einbildung an, das gemeinsame
Landen der Citabria hätte eine Bindung zwischen uns gestiftet.
    Ohne zu reagieren, schloß ich
die Tür und trat ans Fußende ihres Betts. Meine Finger ertasteten die
Querstange und umklammerten sie fest. Trotz der Wut und des Abscheus, die diese
Frau in mir weckte, würde ich mich nicht von meinen Gefühlen hinreißen lassen;
ich war aus zwei konkreten Gründen hier, und ich würde beide Vorhaben so ruhig
und würdevoll wie irgend möglich realisieren.
    D’Silva guckte verdutzt, weil
ich nichts sagte. Sie erklärte: »Sharon, sie waren heute zur Anklagevernehmung
bei mir, hier im Krankenhaus.«
    »Ich weiß.«
    »Können Sie da nichts machen?«
    »Selbst wenn ich’s könnte,
würde ich’s nicht tun.«
    »Aber —«
    »Was haben Sie erwartet, Lee?
Sie sind in mein Haus eingebrochen. Sie haben Feuer gelegt. Sie haben das
Flugzeug meines Freunds gestohlen. Sie haben Menschen in der Luft und am Boden
gefährdet. Was haben Sie erwartet?«
    »Sie wollen mich wirklich vor
Gericht bringen?«
    »Und ob ich das will — sowohl
wegen der Sache hier als auch wegen dem, was in San Francisco war. Sie sollen
einmal im Leben erfahren, daß Sie die Konsequenzen ihres Tuns tragen müssen.«
    Sie starrte mich an. Ihr
verblüfftes Gesicht bestätigte mir, daß sie derartige Konsequenzen bis jetzt
schlicht geleugnet hatte.
    Ich sagte: »Ich bin
hergekommen, um Ihnen das zu sagen. Und um Sie zu fragen, warum Sie mir das
alles angetan haben.«
    Schweigen.
    »Also, warum haben Sie’s getan,
Lee?«
    Keine Antwort.
    »Sie haben es getan. Sie müssen
doch Ihre Gründe gehabt haben.«
    Sie schaute auf die Bettdecke,
spielte wieder mit der Fernbedienung.
    »War es meine Absage wegen des
Jobs? War das die Entscheidung?«
    »Es war gar keine Entscheidung.
Es ist irgendwie passiert.«
    Irgendwie. Wie oft hört man
heutzutage dieses Wort! Die halbe Bevölkerung, von schlampigen Angestellten bis
hin zu Massenmördern, rechtfertigt damit ihr Fehlverhalten.
    Ihre Bestellung ist irgendwie
untergegangen.
    Irgendwie hab ich sie alle
umgelegt.
    »Für etwas, was irgendwie
passiert ist, hat Sie das aber ganz schön viel Vorbereitung und Mühe gekostet.«
    Achselzucken.
    »Was sollte Ihnen das alles
bringen? Meine Anerkennung? Meine Freundschaft?«
    »Kann sein.«
    »Das glaube ich nicht. Worauf
sollte das Ganze hinauslaufen?« Schweigen. Ihre Finger umkrallten die
Fernbedienung so fest, daß die Knöchel ganz weiß wurden.
    »Worauf, Lee?«
    Sie sah auf. Ihre Augen
loderten, wurden dann steinern. Sie hob die Hand und feuerte die Fernbedienung
an die Wand, etwas unterhalb des Fernsehers. Plötzlich kam die wahre Lee
D’Silva zum Vorschein.
    »Ich hab’s selbst nicht gewußt
— okay? Ich hab’s einfach nur... so gemacht.«
    »Nein, Sie hatten einen Plan.
Sie sind kein Mensch, der planlos vorgeht. Wissen Sie noch, wie ihre Mutter im
Sterben lag und Sie im Geschäft Ihres Vaters gearbeitet haben? Zwei Jahre lang
haben Sie die Sache vorbereitet — das Geld unterschlagen und die
Morphiumtabletten gehortet. Und dann haben Sie Ihren Plan realisiert. Und es
hat geklappt.«
    Sie lag blaß und reglos da;
einen Moment lang hörte sie sogar auf zu atmen. Es war, als wäre sie ebenfalls
gestorben, und in gewisser Weise war es vielleicht auch so, denn als sie den
Mund wieder aufmachte, war ihre Stimme ton- und emotionslos, ihr Gesicht ohne
jeden Ausdruck.
    »Sie wissen gar nichts über
diese Jahre«, sagte sie. »Sie wissen gar nichts über den

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