Wenn alle anderen schlafen
dich. Das ist
die negative Seite. Die positive Seite: Diese Frau ist wegen irgendwas
ernsthaft wütend. Ihre Aktivitäten eskalieren. Sie wird bestimmt bald einen
Fehler machen. Folgende Tatbestände reichen aus, um sie dranzukriegen: wenn sie
unter deinem Namen betrügerische Handlungen begeht, wenn sie unter deinem Namen
Ermittlungen anstellt, wenn sie Kreditkartenbetrug begeht, wenn sie... na ja,
die Richtung dürfte klar sein.«
Die Richtung war allerdings
klar. Ich hob die Hände an mein mittlerweile zornglühendes Gesicht und rieb mir
die Augen. »Gott, an diese Möglichkeiten habe ich noch gar nicht gedacht! Oh,
Hank...!«
»Ich weiß, das ist eine
scheußliche Situation. Jemand kann einen belästigen und verfolgen und einem die
eigene Identität streitig machen, und man hat keine echte Handhabe dagegen.
Wenn man weiß, wer die betreffende Person ist, kann man vielleicht eine
Unterlassungsverfügung erwirken, die sie einem vom Hals hält. Aber was bedeuten
schon Unterlassungsverfügungen für Irre?«
Hank hielt inne, und seine
Augen wurden traurig und resigniert. »Ich weiß nicht, was ich dir sagen soll,
Sharon, außer daß Anne-Marie und ich ganz und gar hinter dir stehen, wann immer
du uns brauchst. Unsere heutige Welt ist ganz schön häßlich und bedrohlich, und
anständige Menschen haben nur zu oft nicht genügend rechtliche Mittel, um sich
zu schützen.«
»Und wie gehst du damit um?«
»Ich persönlich? Ich passe auf
mich auf und auf die Menschen, die mir wichtig sind. Ich versuche, als Anwalt
diejenigen zu schützen, die im Recht sind, und nicht dazu beizutragen, daß die
Schweinehunde frei herumspazieren. Ich gestehe, es gab Zeiten, da war ich in
Gefahr, auf die andere Seite rüberzudriften. Das Geld und die Macht waren zu
verlockend. Aber durch Anne-Marie und Habiba hat sich alles geändert. Meine
Frau ist eine Idealistin, sie würde mir die Eier abschneiden, sollte ich mich
je verkaufen, und Habiba... Na ja, ich will meinen bescheidenen Teil dazu
beitragen, diese Welt zu einem Ort zu machen, wo sie aufwachsen kann, ohne
Angst haben zu müssen.«
Montag abend
Ted hatte Neal gesagt, er müsse
heute länger arbeiten, aber um halb sechs traf ich ihn beim Aufräumen seines
Schreibtischs an. »Feierabend?« fragte ich.
»Ja. Ich bin total erschossen.«
Er sah allerdings müde aus. Er
hatte dunkle Ringe unter den Augen und tiefe Falten um den Mund. Das war der
Ted, den ich schon einmal ahnungsweise erlebt hatte: auf dem Höhepunkt der
Aidsepidemie, als viele seiner Freunde gestorben waren. Doch damals hatte er
sich alle Mühe gegeben, seine Verzweiflung zu überspielen, eine fröhliche
Fassade zu zeigen, während er denen beistand, die ihn brauchten. Diesmal war
offensichtlich, daß ihm irgend etwas zu schaffen machte.
Auf die vage Chance hin, daß er
sich mir anvertrauen würde, sagte ich: »Du siehst in letzter Zeit nicht
besonders gut aus. Ist irgendwas?«
Er zögerte, widerstreitende
Impulse im Gesicht, und sagte dann achselzuckend: »Nichts, womit ich nicht
klarkomme.«
»Ich möchte dir gern helfen.«
»Ich weiß. Laß mich einfach in
Ruhe, Shar.« Er schob den Stuhl unter den Schreibtisch, hob die Hand zu einer
Abschiedsgeste und verschwand.
Ich wartete nur ein paar
Sekunden, ehe ich in mein Büro zurückeilte, um meine Tasche und die Schlüssel
zu dem unauffälligen Firmen-Van an mich zu nehmen.
Ted lenkte seinen weißen
Dodge-Neon geradewegs zur Plum Alley, fuhr dann aber seltsamerweise nicht in
die Tiefgarage seines Wohnhauses. Statt dessen stieß er rückwärts in eine
Parklücke vor der Befestigungsmauer am Ende des Blocks und blieb im Wagen
sitzen. Ich fuhr weiter die Montgomery entlang, fand keinen Parkplatz, wendete
vor dem Julius’ Castle und fuhr auf dem oberen Straßenteil wieder zurück.
Gerade kam ein Wagen aus der Plum Alley. Ich gab Gas, wendete erneut und bog in
das schmale Sträßchen. Die freigewordene Parklücke befand sich etwa auf der
Mitte der Straße, hinter einem Müllcontainer, der Ted die Sicht auf den Van
versperren würde — falls Ted noch in seinem Wagen saß.
Ich stieg aus und schlich mich
durch die dunklen Schatten zwischen den parkenden Wagen und den Häusern näher
heran. Ja, da war Teds Kopf, deutlich vor dem Lichtschein der Uferbeleuchtung.
Er schien sein eigenes Haus zu beobachten. Hinter einem Geländewagen versteckt,
beobachtete ich meinerseits, wie er jedesmal den Kopf reckte, wenn jemand das
Gebäude betrat oder verließ.
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