Wenn alle anderen schlafen
jemanden die Tüte
abstellen gesehen hatten, verwarf es dann aber. Ich hatte die Leute schon heute
morgen belästigt, und es war zu spät, um sie jetzt noch einmal
herauszuklingeln.
Beide Katzen schliefen auf dem
Wohnzimmersofa, von Michelle hereingelassen. Das Lämpchen des Anrufbeantworters
blinkte — nur eine Botschaft. Ich drückte die Abspieltaste und vernahm Hys
Stimme.
»Wollte dich nur wissen lassen,
daß ich heil angekommen bin. Buenos Aires ist noch toller, als ich es in
Erinnerung hatte; eines Tages mußt du mal mit hierherkommen. Ich vermisse dich.
Ich hoffe, daß diese Frau dir nicht noch mehr Ärger gemacht hat und daß du die
Sache mit Ted und Neal inzwischen geklärt hast. Du hast ja meinen Reiseplan und
meine Telefonnummern, also ruf an, falls ich dich nicht erreiche. Ich liebe dich.«
Morgen würde ich ihn anrufen.
Ich brauchte es dringend, mit ihm zu reden.
Diesmal bin ich unter Wasser.
Trübes Wasser in einem schummrig beleuchteten Aquarium, wo milchig-grüne
Wasserpflanzen mit ihren seidigen Armen wedeln. Die Kiesel am Boden glänzen und
geben unter meinen Füßen nach.
Wie kann ich unter Wasser sein
und dennoch atmen?
Ich beobachte mich, wie ich
mich durch die Pflanzen bewege, plump, verglichen mit ihrer Anmut.
Bewegung am anderen Ende des
Beckens, die Pflanzen peitschen wild. Blasen steigen auf. Ich ziehe mich in
eine Sandsteinhöhle zurück.
Bizarre Meeresgeschöpfe
erscheinen. Sie sind leuchtend bunt: rot, blau, golden, orangefarben. Sie
schießen zwischen den grünen Pflanzenarmen hindurch und stoßen seltsame Schreie
aus, die von dem Glas widerhallen.
Ich sehe zu, fasziniert und
ängstlich zugleich.
Jetzt kommt eine Prozession,
die die Meeresgeschöpfe verstummen läßt. Eine Reihe gesichtsloser Frauen in
hauchdünnen petrolfarbenen Gewändern. Sie driften zwischen den Meeresgeschöpfen
hindurch, berühren sie aber nicht.
Jede Frau hält eine Flasche
Wein und ein Glas.
Sony, murmeln sie, während sie
näher an mein Versteck herandriften.
Sony, sony, sorry...
Donnerstag
»Keim auf der eins, Shar.«
»Danke.« Ich nahm ab.
»Charlotte, wo bist du?«
»Flughafen Detroit, kurz davor,
in den Flieger nach Hause zu steigen.« Sie hatte die Woche damit zugebracht,
der geschäftsreisenden Dame von Chicago über Minneapolis in die Autostadt zu
folgen. »Immer noch nichts?« fragte ich.
»Absolut nichts. Diese Frau arbeitet
viel zu hart, um unterwegs an irgendwas anderes zu denken. Der Klient muß
paranoid sein.«
»Hast du ihn schon angerufen?«
Der Klient, Jeffrey Stoddard, wünschte täglich einen mündlichen Rapport.
»Ich hab’s versucht, aber er
war nicht da. Ich versuch’s noch mal vom Bordtelefon.«
»Nein, ich werde ihn anrufen,
und du kannst ihm dann die Einzelheiten mitteilen, wenn du wieder hier bist.«
Wie so viele High-Tech-Fans liebte es Charlotte, von Flugzeug-Bordtelefonen aus
zu telefonieren, was ihre Spesen schon öfter in schwindelnde Höhen getrieben
hatte.
»Okay«, sagte sie. »Dann muß
ich wohl Mick anrufen, wenn mir langweilig wird — von meiner eigenen Kohle
natürlich.«
»Stell dich bloß nicht in den
Gang zum Telefonieren.« Diese Unsitte erschien mir immer schon als eine
besonders penetrante Art von Wichtigtuerei — »Ich habe keine Minute zu
vergeuden, nicht mal in 33 000 Fuß Höhe. Ich bin ja so bedeutend« — , ganz zu
schweigen von der Belästigung derer, die dieser Kommunikationsfimmel nicht
beeindruckt.
»Genau wie gestern abend?«
fragte Neal.
»Ja.«
Am Dienstag und am Mittwoch war
Ted vom Pier direkt zu Neals Buchladen gefahren und hatte ein paar Häuser
weiter Warteposition bezogen, um ihm dann nach Hause zu folgen.
»Er muß mir irgendwie
mißtrauen. Aber inwiefern? Und welchen Anlaß habe ich ihm gegeben?«
»Fragt er dich je aus — wo du
gewesen bist, was du gemacht hast?«
»Nie, aber das ist ja auch kein
Wunder, wenn er mich die ganze Zeit beschattet hat.«
»Ist er ungewöhnlich neugierig,
was deine Post oder deine Telefonate betrifft?«
»Nein, aber... in letzter Zeit
stürzt er immer beim ersten Klingeln selbst ans Telefon. Und mein
Briefkastenschlüssel ist vor zwei, drei Wochen verschwunden; er könnte ihn an
sich genommen haben. Er behauptet, daß der Schlüsseldienst für diesen
Schlüsseltyp keine Rohlinge hat, deshalb könnten sie ihn nicht nachmachen.«
»Stimmt.«
»Und wie soll’s jetzt
weitergehen?«
»Na ja, ich werde Ted noch
einmal folgen, um sicherzustellen, daß das ein durchgängiges
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