Wenn alle anderen schlafen
Jahren
Karate, stand kurz vor dem schwarzen Gürtel. Ich wußte, daß er Neal zu Beginn
ihrer Beziehung bearbeitet hatte, doch auch damit anzufangen. Aber Neal —
bekennender Nichtsportler — hatte dankend abgelehnt.
»Na ja, ich habe schließlich
doch nachgegeben.« Er schüttelte den Kopf. »Wie soll man sich noch weigern,
wenn man zehn Stunden zum Geburtstag geschenkt kriegt?«
Was wir einander nicht alles
unter dem Deckmäntelchen der Großzügigkeit antun! Wieder einmal war ich dankbar
für Hy, der — unter anderem — nie von mir verlangt hat, auf seiner Ranch auf
ein Pferd zu steigen, so gern er selbst reitet. Er weiß, ich hasse Pferde fast
so leidenschaftlich, wie ich ihn liebe.
»Na, das war ja eine manipulative
Meisterleistung«, sagte ich zu Neal. »Und wie gefallen dir die Stunden?«
»Ich hatte erst eine, also
warte ich noch ab. Aber ich habe tatsächlich ganze Muskelgruppen entdeckt, von
denen ich nicht mal geahnt habe, daß ich sie besitze.«
An diesem Nachmittag um halb
fünf steckte ich den Kopf in Teds Büro und fragte: »Was machen die Briefe?«
»Wieso? Hast du’s eilig, von
hier wegzukommen?« Er wandte den Blick nicht vom Computerbildschirm.
»Nein. Ich frage nur.«
»Du kriegst sie, wenn sie
fertig sind, okay?«
Durch seinen schroffen Ton
eingeschüchtert, zog ich mich wieder zurück. Nein, das war nicht der Ted, den
ich über zehn Jahre gekannt und gemocht hatte.
Ich ging weiter den Steg
entlang, zu dem Büro, das sich Anne-Marie und Hank teilten. Es war ähnlich wie
meins: geräumig, mit ockerfarbenen Wänden und hochsitzenden, schmalen Fenstern,
die am Tag einen Streifen sanftes Licht von Norden hereinließen;
Berberteppichboden, freiliegende Balken und ein Bogenfenster, mit Blick auf den
Embarcadero, so wie meins auf die Bay hinausging. Doch da hörte die Ähnlichkeit
auch schon auf. Während mein Büro sparsam und modern möbliert war, war ihre
Einrichtung traditionell: ein altmodischer Partnerschreibtisch, eichene
Ablageschränke, Ledersessel und ein Sofa in einer separaten Sitzecke. Hanks
alter Zigarrenladen-Indianer stand neben der Tür, mit Mänteln und Schals
behängt, und gegenüber hing ein Uncle-Sam-Rekrutierungsposter aus dem Zweiten
Weltkrieg: »Ich will dich für die US-Armee.«
Als ich an den Türpfosten
klopfte, sah Hank von einem Schriftstück, das er studierte, auf und winkte mich
herein.
»Wo ist deine andere Hälfte?«
fragte ich.
»Termin bei Habibas Lehrerin.«
»Probleme?« Habiba Hamid war
neun und hatte in ihrem jungen Leben schon viel Schweres durchgemacht.
»Nein. Sie meinen, das Kind sei
ein Genie, fast jedenfalls, und empfehlen uns, sie eine Klasse überspringen zu
lassen.«
»Ob das so gut wäre?«
»Wir sind nicht der Meinung.
Sie mußte zu schnell groß werden. Sie braucht es, Kind sein zu können und unter
Gleichaltrigen zu sein.« Habibas Mutter war eine amerikanische Dichterin
gewesen, ihr Vater ein Diplomatensohn aus einem Ölemirat. Inzwischen war ihre
ganze Familie auf gewaltsame Art umgekommen, bis auf irgendwelche entfernten
Verwandten in ihrer Heimat, und trotz der liebevollen Zuwendung ihrer
Pflegeeltern und aller hier, die sie kannten, fühlte sich Habiba oft unsicher
und allein.
»Dann lehnt ihr es also ab?«
»Wir sagen der Schule, daß
Habiba selbst entscheiden soll, ob und wann sie mehr geistige Anregung braucht.
Wenn sie Privatunterricht will, Begabtenkurse, okay. Aber dann, wenn sie dafür
bereit ist.«
Ich musterte meinen ältesten
Freund. Seine Augen hinter der Hornbrille waren voller väterlicher
Zärtlichkeit. »Du liebst sie wie deine eigene Tochter, was?«
»Ja, das tue ich. Und
Anne-Marie auch — und das will was heißen, bei einer Frau, die Kinder immer nur
als ›lästige, lärmende kleine Kreaturen‹ bezeichnet hat. Aber sie braucht ja
auch nicht mit Habiba zusammenzuleben...«
Schon bald nach ihrer Heirat
hatten Anne-Marie und er festgestellt, daß sie absolut nicht dafür geeignet
waren, zusammenzuleben. Seine Unordentlichkeit machte sie rasend, ihn ihre
penible Haushaltsführung nicht minder. Ihre Lösung bestand darin, in zwei
getrennten Stockwerken ihres Hauses in Noe Valley zu wohnen — mit freizügigem
Besuchsrecht natürlich. Habiba wohnte bei Hank — in der kinderfreundlicheren
der beiden Wohnungen.
Ich sagte: »Nein, zusammenleben
muß sie nicht mit ihr, aber sie ist diejenige, die mit der Lehrerin redet.«
»Und die ihr das Radfahren
beigebracht hat und ihr Kleider aussuchen hilft und
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