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Wenn alle anderen schlafen

Wenn alle anderen schlafen

Titel: Wenn alle anderen schlafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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Fassade Fernseher mit dem
Bildschirm nach außen aufgestellt, und eben gerade kam der Vorspann des lokalen
CBS-Nachrichtenmagazins. Gleich darauf begannen hoch über dem Bürgersteig
Dutzende kleiner Nachrichtensprecherinnen-Klone absolut synchron zu lächeln und
zu reden und die steif frisierten Köpfe zu senken und zu heben. Ich sah
hypnotisiert zu.
    An der Ampel hinter mir
quietschten Bremsen und Reifen. Ich guckte mich um und sah einen Wagen, der
über zwei Spuren geschleudert war. Warum verlernten die allermeisten Einwohner
dieser Stadt beim ersten Regentropfen das Autofahren? War ihnen nicht klar, daß
Gummi auch dann auf Asphalt haftet, wenn beides feucht ist? Was würden sie
machen, wenn es sie nach Seattle verschlüge, wo es richtig regnet? Oder in die
Sierras, wo die Straßen jetzt vereist und verschneit waren?
    Ein inneres
Frage-und-Antwort-Spiel, um mein Denken zu dieser späten Stunde wachzuhalten —
und es von dem abzulenken, was für mich inzwischen unter dem Etikett diese
Frau lief.
    Jetzt tröpfelten Leute aus dem
Eingang der Sportschule. Durch die Fenster der vor mir parkenden Wagen sah ich
Ted aufmerken. Ich konzentrierte mich ebenfalls, die Hand am Zündschlüssel.
    Neal kam heraus, eine
Sporttasche in der Hand, und winkte einem Männerpaar zu. Er bog in die Pine
Street und ging in Richtung Polk Street.
    Ted wartete auf eine Lücke im
fließenden Verkehr, fuhr dann an. Ich wartete noch einen Moment, ehe ich ihm
folgte. Der Neon schoß über drei Spuren nach links und bog ab, in die Bush
Street. Ich mußte an der Ampel warten, aber als ich ebenfalls in die Bush
einbog, sah ich Ted wiederum links abbiegen, in die Polk. Ich tat es ihm nach
und sah ihn gemächlich dahinrollen und beobachten, wie Neal in Richtung Anachronismus marschierte, am Laden vorbei und dann, in der Mitte des Blocks, über die Straße
zu einem Parkhaus ging.
    Ted fuhr an den Bordstein und
blieb dort im Leerlauf stehen. Ich hielt an, um ein Trio junger Männer
hinüberzulassen, deren gesamte Körperoberfläche gepierct und von Objekten
geziert schien, die aussahen wie durch den Abfallzerkleinerer gejagt. Dann
winkte ich noch ein älteres Paar mit Tüten aus einem Rund-um-die-Uhr-Markt über
die Straße. Wenige Minuten später kam Neals klappriger Honda aus der
Parkhausausfahrt und nahm die Polk nach Norden. Ich rollte langsam vorwärts,
sah, wie Ted ihm folgte.
    Zeitweilig durch mehrere andere
Fahrzeuge getrennt, fuhren wir alle drei die Polk entlang, durch den
Broadway-Tunnel und schließlich zum Tel Hill. Als ich in der Plum Alley ankam,
war Ted schon wieder aus seiner Garage aufgetaucht und gerade auf dem Weg in
den Eingangshof. Neal — der auf der Straße parkte, da zu der Wohnung nur ein
Garagenplatz gehörte und Teds Wagen der wertvollere war — war vermutlich schon
drinnen.
    Ich hielt ein paar Häuser
weiter und beobachtete, wie Ted in den Briefkasten guckte und dann in den
Aufzug trat. Sah durch die Glasziegel, wie er zum dritten Stock hinauffuhr. Als
er hinter den Buntglasfenstern vorbeiging, wurde mir klar, warum ich in diesem
Flur immer das Gefühl hatte, unter Wasser zu sein. Ted sah aus, als drifte er
zwischen den seltsamen Meeresgeschöpfen dahin. Versunken in das, was ihn
quälte.
     
    Als ich nach Hause kam, fand
ich eine Einkaufstüte vor meiner Haustür. Noch so eine unangenehme
Überraschung, dachte ich. Ohne die Tüte zu berühren, öffnete ich die Tür,
stellte die Alarmanlage ab und knipste das Deckenlicht an. Dann holte ich die
Tüte vorsichtig herein und öffnete sie.
    Eine Flasche Deer Hill
Chardonnay — sogar der richtige Jahrgang. Daran klebte ein Haftzettel mit dem
einen maschinengeschriebenen Wort: »Sorry.«
    Ich ließ den angehaltenen Atem
mit einem Zischen entweichen — eine Mischung aus Erleichterung und Zorn.
    Sorry. Sie war in mein Haus
eingebrochen, hatte meinen Wein getrunken, meine Pillen ins Klo geschmissen,
meine Katze terrorisiert — und jetzt tat es ihr leid?
    Klar tat es das.
    Ich ließ die Flasche in der
Tüte, faßte diese ganz am Rand und trug sie in die Küche. Morgen würde ich sie
ins Richman-Labor bringen, um das Präsent auf Fingerabdrücke und den Wein auf
mögliche Zusätze untersuchen zu lassen. Aber mir schwante, daß die
Laborgebühren vergeudet sein würden; sie hatte gestern abend aufgepaßt, also
war sie mit diesem trügerischen Geschenk bestimmt erst recht vorsichtig
umgegangen.
    Ehe ich die Alarmanlage wieder
aktivierte, erwog ich, die Nachbarn zu fragen, ob sie

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