Wenn auch nur fuer einen Tag
eine Seite auf.
Ein kleiner Platz im jüdischen Viertel. Marode Hauswände, uralte regennasse Pflastersteine, Sonnenstrahlen, die sich durch den wolkenverhangenen Himmel drängen. Ich atme tief ein, kann beinahe riechen, wie der Regen langsam von den Straßen und Plätzen verdunstet und das Aroma nach Staub und Steinen in der Luft verbreitet. Ich habe den Duft geliebt, der kurz nach einem kräftigen Schauer über der Stadt hing – schwül und erfrischend zugleich.
Ich setze den Kohlestift an. Das leise, schleifende Geräusch, das er verursacht, als ich mit angehaltenem Atem den ersten zittrigen Strich auf dem Papier ziehe, lässt mir einen Schauer den Rücken hinunterrieseln. Ich halte erschöpft inne, aber ich darf jetzt nicht aufgeben. Wenn ich es tue, werde ich nie wieder einen Versuch starten. Ich starre mit zusammengekniffenen Augen auf das Foto vor mir. So lange, bis ich das Gefühl habe, durch die Gebäude hindurchsehen zu können und sie sich in Senkrechten, Geraden, Fluchtpunkte, Ebenen und Schatten auflösen. Ich setze erneut an. Dieses Mal schon mutiger. Und verflucht noch mal, ich werde es doch wohl hinkriegen, dieses läppische Blatt Papier zu füllen, wenn ich es sogar mit meinem neuen Leben schaffe!
Jana
Es ist Dienstag, ein Tag vor meinem Geburtstag. Lukas hat mich von der Uni abgeholt. Ich war total überrascht, als er freudestrahlend mit einem Picknickkorb auf mich wartete. Eigentlich hatten wir ausgemacht, dass ich zu ihm komme. Ich wollte mein Geständnis lieber in seinen vier Wänden ablegen.
Stattdessen hängen wir jetzt zwischen Muffins und Sandwiches auf einer Decke im Stadtpark herum. Ich habe überhaupt keinen Appetit, ein blödes, flaues Gefühl im Magen und so eine miese Laune, dass ich es kaum verbergen kann. Das Gespräch, das noch vor mir liegt, kommt mir schlimmer und unüberwindbarer vor als alle Prüfungen zusammengezählt, die ich bisher schaffen musste. Ohne das Versprechen, das ich Carla gestern gegeben habe, wäre ich jetzt garantiert anders drauf. Dann würde ich den Tag mit Lukas in vollsten Zügen genießen. Ist es wirklich nötig, all das hier kaputt zu machen?
»Ich bin echt neugierig, was du zu deinem Geschenk sagst«, murmelt Lukas versonnen.
»Mach doch nicht so ein Geheimnis draus. Los, was ist es? Gib mir wenigstens einen kleinen Tipp. Es ist fies, einen so auf die Folter zu spannen.«
»Nein, keine Chance. Du wirst schon bis morgen warten müssen. Aber vielleicht darfst du es schon vor Carlas Geburtstagsessen aufmachen, wenn du schön artig bist.«
Ich stöhne genervt auf. »Du, aber Carla veranstaltet keine Überraschungsparty mit Hunderten von Leuten für mich, oder?« Auf so etwas stehe ich wirklich überhaupt nicht. Carla weiß das zwar eigentlich, aber manchmal geht es trotzdem mit ihr durch.
»Nein, Quatsch, nur Alex kommt noch. Carla will irgendein neues Rezept ausprobieren. Komm, das wird sicher ganz entspannt. Wobei ich es schon nett gefunden hätte, wenn wenigstens dein Bruder Zeit gehabt hätte. Was ist denn mit ihm, muss er arbeiten?«
Ich drehe mich auf den Bauch und vergrabe mein Gesicht in der Decke. Und da wären wir beim Thema. Jetzt … Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt. Mein Puls rast und wie immer sträubt sich alles in mir dagegen. Hinzu kommt jetzt eine Megawut auf Carla und die Tatsache, dass sie mich morgen garantiert ausquetschen wird. Wo soll ich bloß beginnen? Und wie? Was, wenn Lukas mich für eine verrückte Psychotante hält?
»He, was ist denn heute los mit dir, hast du etwa schlechte Laune?« Lukas kitzelt mich am Arm und vergräbt seine Nase in meinem Haar. »Musst du noch arbeiten und bist deshalb schon den ganzen Tag so grummelig?«
Ich rolle mich wieder auf den Rücken. »Ja, stell dir vor, ich muss tatsächlich noch arbeiten. Um sechs. Nicht jeder hat ein so herrliches Leben wie du.« Das kam schroffer über meine Lippen als beabsichtigt.
»He, bezeichnest du mich etwa als faul?« Lukas lacht zwar dabei, aber in seiner Stimme höre ich einen leicht verstimmten Unterton.
»Na ja …«, murmele ich bloß.
Bisher habe ich mich zwar mit Kommentaren zurückgehalten, aber eigentlich wundert es mich schon, wie entspannt Lukas ist. Ich an seiner Stelle würde mir viel mehr den Kopf darüber zerbrechen, wie ich mein Leben gestalten soll. Er kümmert sich ja noch nicht einmal um einen neuen Studienplatz.
»Was heißt na ja ?«
Ich drehe meinen Kopf zu ihm. »Ach, keine Ahnung«, brumme ich. »Manchmal habe ich schon
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