Wenn auch nur fuer einen Tag
Albertis eindringlicher Blick irritierten mich, aber schließlich nickte ich. »Ja, ich dachte, das wäre klar. Deshalb habe ich mich, ehrlich gesagt, auch gefragt, warum ich, na ja, letzte Woche keine Einladung erhalten habe.«
Fernando Alberti lachte leise. »Mach dir darüber keine Gedanken, Matteo. Es ging bei diesem Treffen ausschließlich um dich und es wäre unklug gewesen, dich dazuzubitten.«
»Aha und … worum ging es da genau?« Die Vorstellung, dass ich Gesprächsthema eines ganzen Abends gewesen sein sollte, gefiel mir nicht sonderlich.
Alberti schlug die Beine übereinander und krempelte umständlich seine Hemdsärmel hoch. Seine muskulösen Oberarme wurden sichtbar und ich konnte auf der gebräunten Haut seiner rechten Schulter ein Stück von einer schwarzen Tätowierung erkennen. Eine Ranke oder ein Blütenstängel – irgendetwas in der Art.
»Es ging um die Frage, ob du so weit bist, als offizielles Mitglied aufgenommen zu werden, oder ob es Zeit wird, sich wieder von dir zu verabschieden«, erwiderte er endlich.
Ich runzelte die Stirn. »Offizielles Mitglied?«
»Bis jetzt haben wir dich eher als unseren Gast betrachtet, als jemanden, der sich bei uns umsehen darf und den auch wir erst einmal genauer unter die Lupe nehmen«, erklärte Alberti.
»Aber, ich –«
»Keine Sorge, Matteo, wir sind einstimmig zu der Überzeugung gekommen, dass sich dies mit dem heutigen Tag ändern soll. Du genießt bei allen Mitgliedern Vertrauen und größte Sympathie.«
Ich fragte nicht nach, was genau das für mich zu bedeuten hatte, denn ich wusste, dass Alberti Geduld hochschätzte und er mir auf seine Art und Weise schon irgendeine Erklärung liefern würde.
»Hast du dich nie gefragt, weshalb wir uns ausgerechnet die Rosa Nera nennen?«
Ich räusperte mich verlegen. »Ich … habe es einfach als eine Art Clubnamen betrachtet«, gestand ich. »Vergleichbar mit einem Bandennamen, den sich Kinder ausdenken. Schwarze Rose … klingt ja auch irgendwie cool.«
Albertis Ausdruck verriet nicht, was er dachte. Seine Augen waren starr auf mich gerichtet, lediglich seine Finger bewegten sich und ließen den Aschenbecher auf der Tischplatte kreisen.
»Die Rose, Matteo, ist die edelste aller Blumen«, sagte er schließlich mit unveränderter Miene. »Nicht umsonst sagt ein einzelnes Exemplar mehr aus als ein ganzer Strauß schnöder Tulpen.«
Ich runzelte die Stirn, traute mich aber nicht nachzufragen, was er mir mit diesem seltsamen Bild mitteilen wollte.
»Sie hat hässliche, spitze Dornen, und trotzdem ist sie die unangefochtene Königin. Wer weiß, vielleicht gerade deshalb.«
Alberti erhob sich und lief langsam in dem kleinen Zimmer auf und ab. »Eine Rose schafft es auch, den steinigsten Boden zu durchbrechen«, fuhr er fort. »Sie ist hart im Nehmen und bereit, alles zu geben, um ihre Position zu verteidigen. Sie würde sogar dann noch aufrecht stehen, wenn die Welt schon in Schutt und Asche läge. Sie ist nicht totzukriegen, denn sie allein, Matteo, stellt ein einziges Bündel aus Kraft, Stolz und Mut dar.«
Alberti lehnte sich über den Tisch zu mir vor, bis unsere Gesichter nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt waren und ich nicht umhinkonnte, in seine dunklen, beinahe schwarzen Augen zu sehen.
»Und deshalb«, fuhr er leise fort, »ist die schwarze Rose auch das Sinnbild unserer Gemeinschaft. Wir sind ein bunt gemischter Haufen, ein Strauß unterschiedlichster Blumen, jeder von uns hübsch anzusehen, aber ohne Bedeutung. Wir sind Ableger unserer Eltern. Zwar haben sie uns den perfekten Dünger mitgegeben, Topausbildungen, gute Erziehung und einen Haufen Kohle. Aber dennoch ist keiner von uns … eine Rose. Nur gemeinsam können wir die Kraft aufbringen, die nötig ist, um uns in dieser Welt durchzusetzen. Nur wenn wir uns zusammentun und jeder seine ganz spezielle Begabung, seine individuelle Färbung der Gemeinschaft spendet, können wir uns Respekt verschaffen. Als farblose, getarnte und umso stärkere Einheit, als Rosa Nera .«
Ich war zu baff, um etwas zu sagen. Albertis Exkurs in die Botanik hatte mich komplett erschlagen. Jeden anderen, der mir so einen Vortrag gehalten hätte, hätte ich verspottet und als absolut plemplem bezeichnet. Nicht jedoch Fernando Alberti. Es lag keine Dramatik, kein Pathos in seiner Stimme, er hatte vollkommen nüchtern und sachlich gesprochen, als handele es sich um eine Tatsache und nicht um eine Metapher. Das war die Art, wie er immer zu uns
Weitere Kostenlose Bücher