Wenn aus Verlangen Schicksal wird
das ihr je passiert war. Alex, der ihr so heilig war, dass sie nie zulassen würde, dass er von der Gefühlskälte seines Vaters verletzt würde.
Sicher, es hatte Zeiten gegeben, in denen sie die ganze Härte des Alltags einer alleinerziehenden Mutter zu spüren bekommen hatte. Und oft hatte sie sich in diesen Momenten einen Partner gewünscht. Aber so etwas wie Partnerschaft war mit Aristedes undenkbar, denn für Aristedes gab es nur ihn selbst und seine eigenen Interessen. Also war es nur gut, dass er keine Rolle in ihrem und Alex’ Leben spielte.
So hatte sie das jedenfalls gesehen, bis er heute in die Villa gekommen war.
Sie hatte nur einen einzigen Blick auf ihn werfen, nur eine Sekunde lang seine tiefe Stimme hören müssen, und schon waren all die Gefühle, die sie so lange unterdrückt hatte, mit voller Wucht zurückgekehrt: Unsicherheit. Verlangen. Verletztheit. Sehnsucht.
Wie immer in Aristedes’ Gegenwart hatte sie schlagartig ihr Selbstbewusstsein, ihr inneres Gleichgewicht verloren. In dem Augenblick, in dem sie ihn gesehen hatte, hatte sie gewusst, dass sie ihn so schnell wie möglich loswerden musste. Weil ihr geregeltes Leben ansonsten vollkommen aus der Bahn geraten würde.
Wie hätte sie auch ahnen können, auf was für eine Katastrophe ihre kurze Begegnung hinauslaufen würde? Anstatt ihm aus dem Weg zu gehen, hatte sie die Konfrontation gesucht. Anstatt einfach klein beizugeben, hatte sie ihn herausgefordert, so als wüsste sie nicht, dass man genau damit sein Interesse erregte. Anstatt ihm die Augen auszukratzen, wäre sie fast wieder seiner magischen Anziehungskraft erlegen. Und anstatt den privatesten, wichtigsten Teil ihres Lebens vor Aristedes zu schützen, hatte sie ihn direkt zu Alex geführt.
Aber das Schlimmste war, dass sein Angebot sie verlockt hatte. Dass ihr bewusst geworden war, wie sehr sie ihn immer noch begehrte.
Doch egal wie groß die Leidenschaft auch sein mochte, die er in ihr weckte: Sie würde nicht zulassen, dass er wieder in ihre Nähe kam. Oder in die von Alex.
Wobei sie sich sicher war, dass Aristedes sich sowieso nicht für seinen Sohn interessierte. Denn ein Kind, das musste auch ihm klar sein, bedeutete Verpflichtungen. Und Verpflichtungen mied Aristedes Sarantos bekanntlich wie der Teufel das Weihwasser.
Nein, wahrscheinlich war es nur gut, dass er von Alex erfahren hatte. Denn die Verantwortung, die sein Sohn bedeutete, würde Aristedes derart abschrecken, dass er sich nie wieder in Selenes Nähe würde blicken lassen.
Es dauerte nicht einmal vierundzwanzig Stunden, bis Selene einsehen musste, dass sie sich gründlich geirrt hatte.
Denn Aristedes verschwand nicht. Er kehrte zurück.
Mit klimpernden Wimpern führte Dina ihn in Selenes geräumiges Büro. Nicht, dass Selene die Verzückung ihrer normalerweise vorwitzigen und dauersarkastischen Assistentin nicht verstanden hatte. Ihr selbst ging es bei seinem Anblick ja nicht anders, schließlich war Aristedes Sarantos das Ebenbild eines griechischen Gottes. Sie hatte einfach nur viel mehr Übung darin, das Gefühlschaos zu verbergen, das dieser Mann in ihr auslöste.
Nachdem Dina das Büro mit einem letzten schwärmerischen Blick in Aristedes’ Richtung verlassen hatte, sahen sie sich einige Sekunden lang schweigend an. Vorsichtshalber blieb Selene hinter ihrem Schreibtisch sitzen. Einerseits, weil sie Distanz zwischen sich und Aristedes bringen wollte, andererseits, weil sie sich nicht sicher war, ob ihre Beine sie überhaupt tragen würden.
„Du hättest vorher anrufen sollen“, sagte sie schließlich. „Dann hätte ich dir sagen können, dass ich den neuen Vertrag noch nicht vollständig bearbeitet habe. Ich hoffe, dass er Anfang nächster Woche fertig ist.“
Machtlos beobachtete sie, wie er auf sie zukam. Den Schreibtisch umrundete. Sich vor ihr aufbaute.
Der dunkelgraue Maßanzug konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass Aristedes Sarantos mehr von einem mächtigen, schonungslosen Raubtier als von einem Menschen hatte.
Wie gelähmt saß Selene da und sah zu Aristedes auf, ließ sich von seinem dunklen Blick gefangen nehmen. Plötzlich erwachte etwas in ihr, das sie sonst sorgfältig unter Verschluss hielt. Etwas, das reine Lebenslust versprühte, Aufregung, Freude, Leidenschaft.
„Ich bin nicht wegen des Vertrags hier“, sagte er langsam.
Der Panzer um das pulsierende Etwas in ihrem Herzen bekam einen Riss. Diesmal würde es ihr nicht gelingen, der Versuchung zu widerstehen. Warum
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