Wenn aus Verlangen Schicksal wird
sie immer nur für Stippvisiten hier.“
„Seid ihr denn hier in der Nähe aufgewachsen?“
Ein trauriges Lächeln umspielte seine Lippen. „Nein, am anderen Ende der Insel. Als ich klein war, dachte ich, das hier wäre das andere Ende der Welt. Ehrlich gesagt, habe ich dieses Grundstück genau deswegen ausgesucht. Als Kind bin ich immer zu Fuß in ein kleines Fischerdorf bei Iraklio gelaufen, wo ich meinen ersten Job am Kai hatte. Dann habe ich durch Zufall diese Bucht hier entdeckt. In meinen Arbeitspausen kam ich hierher, und in manchen Sommern habe ich öfter auf dem Hügel geschlafen, auf dem jetzt das Haupthaus steht, als bei meinen Eltern. Als ich meine erste Million zusammengespart hatte, habe ich das Grundstück gekauft. Ein paar Jahre später bin ich zurückgekehrt, um die Gebäude zu errichten.“
Es war nur eine kurze Geschichte, und trotzdem verriet sie Selene viel über Aris’ Kindheit: die Einsamkeit, die Härte seines Lebens, die Heimatlosigkeit. Sie hoffte, dass sie eines Tages die Zeit haben würde, all die Einzelheiten darüber herauszufinden, wie Aris der Mann geworden war, der er heute war. Der Mann, um den sich inzwischen all ihre Gedanken, Pläne und Hoffnungen drehten, wenn sie nicht gerade an Alex dachte.
„Warum hast du eigentlich nie die amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen?“
Aris atmete stockend aus und blickte wieder aufs Meer hinaus. „Weil ich keinen Grund hatte.“
„Aber alle deine Geschwister sind inzwischen Amerikaner.“
Er nickte. „Ich habe sie mit in die Staaten genommen, als sie noch klein waren. Caliope, die Jüngste, ist ja fast fünfzehn Jahre jünger als ich. Meine Geschwister kennen nichts anderes und wollten nie woanders leben als dort. Ich selbst wollte einfach immer nur da sein, wo mich die Arbeit gerade hinführte. Ich habe mich nie wirklich irgendwo niedergelassen, weil ich nicht an einen bestimmten Ort gebunden sein wollte. Bis vor ein paar Wochen war ich damit vollkommen zufrieden.“
Dann verstummte er.
Selenes Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Sie hatte so viele Fragen! Wovor war er in seiner Kindheit weggelaufen? Wo war seine Familie damals gewesen? Hatte es niemanden gegeben, der ihn beschützte?
Doch sie wusste, dass sie noch auf die Antworten würde warten müssen. Aris hatte ihr heute so viel von sich erzählt, dass es nicht fair gewesen wäre, ihn weiter zu drängen. Irgendwann würde er von selbst wieder davon anfangen, und bis dahin würde sie dankbar für das Vertrauen sein, das er ihr heute geschenkt hatte.
Ganz unerwartet legte er seine Arme um sie und zog sie gegen seine Brust. Selene lauschte, wie sein Herz im Rhythmus der Wellen pochte. Und da begriff sie, dass die schwerste Aufgabe ihres Lebens sein würde, Geduld zu beweisen.
Denn sie wollte Aristedes Sarantos mit Haut und Haar, wollte alles über ihn wissen, wollte sein ganzes Herz.
Doch etwas in ihr warnte sie, dass sie auf dem Weg dorthin scheitern würde.
Selene atmete stockend aus, während sie den prächtigen Anblick genoss, der sie vollkommen überwältigte.
Aris’ Muskeln spannten sich anmutig. Sein nackter, gebräunter Oberkörper schimmerte bronzefarben auf, sein Haar glänzte in der strahlenden Sonne. Und als wäre das nicht genug, begleitete er Alex, der begeistert quietschte, bei seinen ersten Schritten.
Der Schmerz in Selenes Brust war so stechend, dass sie einen Moment lang die Augen schließen musste. In den letzten zwei Wochen war sie süchtig nach Aris geworden. Nach seinem Anblick, seiner Anwesenheit, seinen Bemühungen, sich zu integrieren.
Je mehr er sich ihr öffnete, desto vielfältiger wurden seine Facetten. Er war so viel mehr als nur ein erfolgreicher Geschäftsmagnat und ein wundervoller Liebhaber. Er war ein Mann, den sie lieben könnte. Nein, nicht lieben könnte . Den sie liebte. Von ganzem Herzen.
Und das trieb sie in den Wahnsinn.
Denn was, wenn er nur seinen Sohn wollte, aber nicht sie?
Inzwischen war sie sicher, dass das Band zwischen Aris und Alex eng genug war, um Bestand zu haben. Aber Aris hatte keinen einzigen Versuch unternommen, wieder mit ihr zu schlafen. Und langsam war Selene an einem Punkt, an dem sie Antworten brauchte, wenn sie nicht verrückt werden wollte.
Nachdem sie Alex an diesem Abend ins Bett gebracht hatten, setzten sie sich gemeinsam in die Küche, wo Aris ihr, wie jeden Abend, eine ausgefallene Mahlzeit zubereitete.
Als er gerade die Frühlingszwiebeln, Pilze und Paprika hackte, die sie im Garten
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