Wenn Blau im Schwarz ertrinkt (Teil 1)
von Nikolajs Stimme fallen. Erschrocken und seltsam benommen verfolgte sie, wie die Frau beide Teller abstellte, ihnen ein Lächeln schenkte und wieder davon rauschte. Mit leicht geöffnetem Mund starrte sie ihr nach, bis sie endgültig in der Küche verschwunden war. Dann senkte sie den Blick auf den Teller mit Grünzeug vor sich, ehe sie ihn nach einer weiteren Weile wieder erhob und auf Nikolaj richtete.
Dieser griff gerade sein Besteck auf. „Lass dir Zeit. Ich weiß, dass das alles … abgedroschen klingt und du wohl nicht mit solchen Antworten oder mehr … Offenbarungen gerechnet hast. Wenn du nichts dagegen hast, esse ich derweil meine Pasta. Im Gegensatz zu deinem Salat wird mein Essen kalt. Und kalte Nudeln sind in etwa wie kalter Kaffee.“ Er begann sich mit Löffel und Gabel Nudeln aufzudrehen und sie zu essen.
Gwen starrte ihn wie vom Donner gerührt an. Unglaube, Erschrockenheit und neuerliche Surrealität tanzten in ihr. So widerstrebend er zuvor irgendein Wort hatte herausrücken wollen, so sprudelnd waren sie nun aus ihm hervorgegangen. Es war fast so, als ob er sich mit jedem Wort von einer unsichtbaren Last zu befreien gehofft hatte.
Sie zog den Blick von ihm ab und sah sich argwöhnisch und mit den Wesenszügen einer Schlafwandlerin im Bistro um. Fast hoffte sie, irgendwo eine versteckte Kamera zu erspähen, denn sie kam sich augenblicklich vor, wie in einem besonders skurrilen und abgedrehten Film.
Nur zur Hälfte ein Mensch. Hexe. Zauber. Teufelskinder.
Nein, den Teufel gab es nicht. Oder doch …? Es war eine unbestreitbar schauderhafte Vorstellung, dass Nick irgendwie mit … dem Teufel verbunden sein sollte. Das wollte sie nicht glauben. Und sie tat es auch nicht.
Sensaten. Zwischendimension. Hexen. Raum im Raum. Zauber. Teufel. Schwarze Magie.
Wie könnte ein vernünftiger Verstand solch einem Unsinn auch nur den Hauch von Wahrheit beimessen? Sollte solch abgedrehter Irrsinn überhaupt eine Berechtigung auf die Bedeutung von „wahr“ und „real" besitzen?
Irgendwo am Rande ihres Bewusstseins nahm sie Fetzen einer Melodie und Worte aus dem Radio wahr, die sie kannte, ihr im Moment jedoch seltsam fern und befremdlich vorkamen. Und dort vor ihr saß Nikolaj und aß seine Nudeln mit Meeresfrüchten – gänzlich ungerührt. So sah er zumindest aus. Von außen gesehen.
Sein Blick ruhte auf dem Teller. Seine Hände führten das Besteck mit festem Griff. Musste er nicht fühlen, wie sie ihn praktisch mit ihrem Blick durchbohrte? Eine Gabel. Noch eine Gabel. Dass er gerade selbst gesagt hatte, dass das Äußere streng genommen der am wenigsten verlässliche Teil sei, hatte sie nicht vergessen. Sie starrte ihn gebannt an, so intensiv und angestrengt, dass sich seine Silhouette bereits verdoppelte und auseinanderlief.
„Ist bei Ihnen alles in Ordnung? Gibt es ein Problem mit ihrem Salat, Miss?“
Zum vierten Mal erwies sich das Auftauchen der Kellnerin als unerwarteter und plötzlicher Stoß gegen ihr derzeit eingeschränktes Bewusstseinsfeld und ließ sie abermals wie elektrisiert aufsehen. „Was …? Mein Salat?“
Sie sah auf ihren unberührten Teller. „Nein. Es ist alles in … Ordnung. Danke.“
Trotz des sichtbaren Unglaubens im Blick der Frau bohrte sienicht weiter nach, sondern verschwand wieder von ihrem Tisch.
„Vielleicht hätte ich die Bombe erst nach dem Essen platzen lassen sollen. Du siehst irgendwie so aus, als würde dein Salat heute nicht mehr den Weg in deinen Magen finden.“ Nikolaj legte sein Besteck in den zwischenzeitlich geleerten Teller und schob ihn zur Seite. Er verschränkte die Finger ineinander, stützte sein Kinn darauf ab und sah sie ermutigend und gleichwohl angespannt an.
Es dauerte noch einige Augenblicke, bis sie ihre Stimme wieder fand. „Hast du eine Ahnung wie … wie ich mich gerade fühle? Oder mehr … wie kurz davor mein Verstand ist in Kapitulation zu gehen? Du weißt, wie verrückt und absurd das ist, was du mir gerade erzählt hast? Das ist dir doch klar? Oder …?“
Ein mühsames Lächeln zog sich um Nikolajs Mund. „Nun, ich glaube, dass ich es mir vorstellen kann – ansatzweise zumindest. Für mich ist es „normal“. Wenn dir deine Eltern beigebracht haben, dir vor dem Essen die Hände zu waschen, ist das für dich selbstverständlich und normal – auch wenn es andere nicht so kennen und tun. Verstehst du, was ich meine? Ich bin mit dieser Tatsache aufgewachsen. Ich BIN diese Tatsache. Für mich ist es nichts
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