Wenn Blau im Schwarz ertrinkt (Teil 1)
„Besonderes“, „Unnormales“ oder gar „Verrücktes“ und „Surreales“. Ein bisschen wie die Sache mit dem Weihnachtsmann, nur andersherum.
Der weißbärtige, pummlige Mann in rotem Anzug, der mit seinem von Rentieren gezogenen Schlitten Kamine ansteuert und Geschenke unter dem Weihnachtsbaum zurücklässt. Das ist eine menschengemachte Illusion, der sich aber jeder gerne hingibt, weil sie einfach schön und angenehm ist. Da drückt der Verstand schon mal gerne zwei Augen zu und lässt sich auf das Spiel ein – obwohl er genau weiß, dass es ihn nicht gibt, dass es die Erwachsenen sind, die die Päckchen unter den Baum packen. Die Konfrontation mit der Tatsache, dass eine andere Dimension hier auf Erden existiert, die ihr nicht sehen könnt, die aber trotzdem da ist, dass Wesen, die nicht wie ihr seid, nicht menschlich sind, sondern dem Zauber einer Hexe mit möglicher Beihilfe des Teufels zu verdanken sind, das weit mehr Dinge existieren, als derer ihr euch bewusst seid, diese Tatsache jedoch verweigert euer Verstand vehement. Ist ja auch keine schöne oder angenehme, sondern eine beängstigende Tatsache.
Aber mal ehrlich: Ist der Gedanke eines am Nordpol lebenden, fliegenden, greisenhaften Samariters so viel abwegiger als der Gedanke an Hexen, Magie, andere Dimensionen, andersartige Menschen?“
Gwen stierte ihn einige Sekunden lang mit offenem Mund an, dann fragte sie sarkastisch: „Du vergleichst dich jetzt aber nicht mit dem Weihnachtsmann, oder?“
Sein Grinsen sah nun ehrlicher und weniger mühsam aus. „Manchmal hilft ein wenig Humor über Fassungslosigkeit und Benommenheit hinweg, meinst du nicht auch?“
Er schob ihren Teller beiseite und nahm ihre Hände in die seinen. „Auch, wenn du gerade mehr bekommen hast, als du wolltest, so habe ich keinerlei Zweifel, dass du schnell wieder zu deiner angeborenen Neugierde und Sturheit zurückfindest und mich mit weiteren Fragen bombardierst. Bis dahin lass sich alles erst mal in Ruhe setzen, ehe du dich mit noch mehr Informationen überforderst … in Ordnung?“
Sie verschluckte sich, obwohl sie immer noch keinen Bissen im Mund hatte. „Noch mehr Informationen? Da ist noch mehr, das … ich nicht weiß? Was … bedeutet es denn nun eigentlich genau, ein … ein Sensat zu sein? Als du dich von mir ferngehalten hast, weil du in keiner guten Verfassung gewesen bist … hatte das … damit zu tun? Mit dieser weihnachtlichen Sensatengeschichte? Ich habe …“
„Gweny, lass gut sein für heute.“
„Ich …“
„Gweny! Wenn du dir noch etwas zuführen möchtest, dann versuch es doch mal mit deinem Salat. Er sieht schon ziemlich welk aus.“
Es war schon verblüffend, wie er sich jetzt nach dieser geplatzten Bombe verhalten konnte wie immer. Aber war es nicht wie immer? Er war doch immer noch der Gleiche? Er war immer noch Nick. Was sollte diese Offenbarung zwischen ihnen verändern? Sie hatte seine „Andersartigkeit“ bisher nicht mal bemerkt, also war es wohl keine große Sache. Wenn man mal davon absah, dass diese neuerlichen Informationen ihre bisherige Weltsicht auf den Kopf stellte und sie um den entsprungenen Stoff eines Hollywoodfilms ergänzte.
Aber darüber hinaus: Wie sollte sich dieses Geständnis nun zwischen sie schieben und ihre Beziehung zueinander verändern? Das Einzige, was sich vielleicht verändern würde, war, dass ihr Verstand sich wohl oder übel mit der Tatsache anfreunden musste, dass er nicht so allwissend und im Bilde war, wie er gerne gewesen wäre.
SIEBEN
„ Ich hätte mein Essen gut selbst zahlen können“, murmelte sie. „Wozu habe ich extra meine Tasche inklusive Portemonnaie mitgeschleppt?“
Nikolaj schmunzelte. „Gern geschehen, du Charmebolzen.“
Gwen warf dem Vertrauten aus Kindertagen / heißen und gut gebauten Mann / vorlauten Typen / frisch geouteten Halbsenaten einen nachdenklichen Seitenblick zu. Mit einer derartigen Enthüllung hatte sie ganz sicher nicht gerechnet und irgendwie war ihr, als wäre dies nur die Spitze des Eisbergs gewesen. Vielleicht hatte Nikolaj wirklich recht und sie sollte erst mal diesen Teil in sich versickern lassen.
Nochmals riskierte sie einen verschleierten Seitenblick. Sah er irgendwie nervös aus? Ihr kam es so vor. Angespannt und nervös. Aber vielleicht bildete sie sich das auch nur ein. Ausgelöst und zusammengereimt durch das, was sie eben erfahren hatte.
Schneller als zuvor legten sie die Strecke zurück, erreichten das Wohngebäude von ihr und Josh
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