Wenn Blau im Schwarz ertrinkt (Teil 1)
der Sonnenverdunklung her. Man glaubte, sie seien das Werk des Teufels oder seiner Dienerinnen. Demnach mussten die Kinder entweder direkte Nachkommen des Teufels oder aber der Hexen sein. Auf jeden Fall Ausgeburten des Bösen und der Dunkelheit. Aufgrund der … charakterlichen Schwerpunkte, die die Kinder an den Tag legten, hegte kaum jemand einen Zweifel an dieser Aussage.
Man definierte also das Wesen und die Herkunft dieser Kinder, doch wurde bald ein weiteres Gerücht um die Zusammenhänge und Hintergründe laut. Es hieß, dass dies die Strafe für das Verbrechen der Kirche, für das Morden und Niederschlachten war. Dass die Obrigen, die Vertreter Gottes, dies selbst heraufbeschworen und zu verantworten hatten. Natürlich wurde dieses Gerücht recht bald zum Schweigen gebracht. Niemand beging ungestraft Verleumdung an der Kirche. Im Verborgenen jedoch forschte diese weiter, was jene skandalöse Behauptung anging. Bald schon stießen sie auf Informationen. Einige Vorsteher der Inquisition meldeten, dass eine Hexe namens Lilith kurz vor ihrem Tod auf dem Scheiterhaufen ihre letzten Worte einem Zauber gewidmet haben soll, welcher die Ursache für die dunklen Kinder – meine Ahnen – gewesen sein soll. Lilith soll in ihrer Geisteskrankheit das Böse, die dunkle Seite heraufbeschworen und jene Dunkelheit in Form von Kindern hervorgebracht haben. Natürlich mit Hilfe des Teufels.
Die Kirche nahm diese Information dankbar und ohne Zögern entgegen, um sich selbst von der Anklagebank und jeglicher Verantwortung und Schuld zu entlassen. Sie offenbarten die Information der Öffentlichkeit. Offenbarten die dunklen Kinder als Hexen- und Teufelswerk, als Bund der schwarzen Hexe Lilith mit dem Teufel. Sie nutzen sie abermals als Zeugnis, das ihren Taten gerechtfertigten Nachdruck verlieh und die Notwendigkeit der Ausrottung aller Heiden und Hexen unterstrich. Und natürlich der Kinder.“
Er hielt kurz inne und strich sich mit der Zunge über die Lippen. „In dieser Form ist die Geschichte der Sesanten jedenfalls überliefert. Es ist das, was ich weiß. Bestimmt gibt es einige Aufzeichnungen aus der damaligen Zeit, doch werden selbst diese das Auftauchen der Kinder – unserer Art – nicht zu 100 % erklären können.
Egal wie viel nun tatsächlich wahr ist, es betrifft mich nicht in vollem Maße, sondern nur zum Teil. Anders als diese Kinder, die Ursprünglichen, die Ersten, bin ich weder direkt und unmittelbar durch einen Zauber geboren, noch stamme ich einer reinen Blutlinie der Sensaten ab. Vor 26 Jahren hat mich eine Menschenfrau zur Welt gebracht, die von meinem Vater, einem Sensaten, geschwängert worden ist. So gesehen bin ich also weder ein Mensch noch ein Sensat. Ich bin beides.
Mein „Zuhause“, nach dem du schon mehrmals gefragt hast, ist somit wohl zum Teil die Erde und zum Teil die Welt der Sensaten, die zeitgleich mit ihnen erschaffen worden ist. Ein Raum im Raum, eine Zwischendimension, die hier auf der Erde verankert ist, aber in einer anderen Frequenz schwingt.
Du wolltest wissen, ob ich eine Ahnung habe, warum deine Eltern mich nicht in deiner Nähe haben wollten. Nun … hierauf hast du deine Antwort bereits. Weil ich anders bin. Und sie das gespürt haben. Mich umgibt keine typisch menschliche Aura und die meisten Menschen merken das. Auch wenn sie oft nicht sagen können, „was“ anders ist. Einige fühlen sich einfach ziemlich unwohl in meiner Gegenwart. Die häufigsten Reaktionen sind Vorsicht und Misstrauen, hervorgerufen durch das unsichtbare, aber dennoch sehr präsente Gefühl der Bedrohung und der Gefahr, das ich zweifelsohne ausstrahle.“
Er sah kurz auf seine Hände. „Zugegeben … ich kann dieses Gefühl stärkend oder schwächend beeinflussen, indem ich mich zurücknehme, meine wahre, beziehungsweise den nichtmenschlichen Teil in mir verschleiere. Ein gutes Raubtier kann so etwas eben …
Nun … auf jeden Fall war diese
besondere Ausstrahlung
wohl die Präsenz, die deine Eltern wahrgenommen haben. Ich glaube jedoch nicht, dass sie sich je auch nur ansatzweise in Nähe der tatsächlichen Wahrheit bewegt haben. Sie haben schlicht einen gefährlich wirkenden Jungen wahrgenommen und hielten es für klug ihrem Instinkt diesbezüglich zu folgen und dich von mir fern zu halten.“
„So: Hier hätten wir einmal Salat mit Lachs und Baguette für die Dame und einmal die mediterrane Pasta für den Herrn. Guten Appetit!“ Die Worte der Kellnerin ließen Gwen aus der Trance
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