Wenn Blau im Schwarz ertrinkt (Teil 1)
sie das Gefühl als würden unzählige Emotionen, und der Hauch von noch etwas anderem, etwas, das ihr fremd vorkam, hinter seinen Augen tanzen.
Er sah sie einige Sekunden schweigend an, erwiderte dann mit ernster Stimme: „Du willst die Antwort darauf wissen? Bist du dir wirklich sicher? Du weißt, dass ich nicht lügen werde. Ich werde es dir sagen. So wie es ist. Nicht beschönigt. Nicht abgemildert. Nicht verharmlost. Wenn du dir darüber klar bist, sag mir, ob du die Antwort wirklich hören willst.“
Sein „Hinweis“ bescherte ihr ein dröges Gefühl im Magen, ließ die Gewissheit, dass die Antwort womöglich mehr war, als sie zu erwarten vermochte, in ihr aufsteigen und erfüllte sie gleichsam mit dem Gefühl der Nähe und Dankbarkeit Nick gegenüber, dass er sie nicht anlügen würde, sollte sie eine Antwort fordern. Doch wollte sie die Wahrheit wirklich hören? „Konnte“ sie die Wahrheit wirklich hören? Wenn sie jetzt verneinte, würde sie sicherlich tagtäglich darüber nachgrübeln, was die Antwort wäre. Es würde sie nicht loslassen. Andererseits war es Vergangenheit. Es war bereits geschehen und nicht mehr rückgängig zu machen. Musste sie wissen, was er einst getan hatte? Zählte nicht einzig das Hier und Heute?
Nikolaj strich ihr über die Lippen, ein mattes Lächeln auf den Zügen. „Du tust es schon wieder. Dir auf die Unterlippe beißen.“
Sie sah in seine Augen. Ein Ozean von Blau und Schwarz. Weit. Tief. Unergründlich.
Ihre Worte kamen von ganz allein. „Nein. Ich muss die Antwort nicht hören. Wir sind hier. Im Heute. Im Jetzt. Gestern ist gestern. Und Morgen ist morgen. Ich muss die Antwort nicht hören.“
Ihre Entscheidung schien Erleichterung und Erlösung aber auch Geißelung und Strafe für ihn zu bedeuten.
Kein Wort aus seinem Mund gab Preis, was in ihm vor sich ging. Einzig sein Gesicht ließ sie das Ausmaß erahnen. Plötzlich beugte er sich unerwartet zu ihr herüber, umfasste ihr Gesicht mit einer Hand und ließ einen sanften, doch keineswegs unschuldigen Kuss auf ihre Lippen treffen, der sie überfuhr als auch emporhob. Bartstoppeln kitzelten auf ihrer Haut. Seine Lippen waren weich und gleichzeitig rau. Sie auf den Ihrigen zu spüren, löste ein elektrisches Prickeln aus, das ihr rasend schnell und heiß in den Kopf stieg.
Kaum, dass sie verarbeitet hatte, was gerade geschah, verlagerte Nick sich bereits wieder zurück auf seinen Platz und sagte heiser: „Ich hab wirklich noch nie jemanden wie dich getroffen, Gweny …“
ACHT
Nicht lange nach dem unerwarteten und überaus intensiven Kuss, hatte Nikolaj sie galant aber bestimmt vor die Tür gesetzt. Jedoch nicht ohne einen angespannten Eindruck bei ihr zu hinterlassen. Sie konnte nicht sagen, was es war, dass ihn am meisten aufgewühlt hatte. Das Auftauchen von Merkas, die Fragen, die sie gestellt und die er beantwortet hatte oder die Antworten samt Fragen, die unausgesprochen geblieben waren. Darüber hinaus wurde sie das Gefühl nicht los, dass es noch etwas anderes gab, das ihm Sorgen bereitete. Etwas, das nicht eben erst seinen Ursprung genommen hatte, sondern viel tiefer reichte.
Um wie vorgenommen ein paar Dinge für den Bauch des Kühlschranks und die Vorratskammer zu besorgen, machte sie noch einen kleinen Umweg zum Supermarkt. Nun balancierte sie mit den Einkaufstüten in beiden Händen auf der Kante des Gehsteigs entlang nach Hause und war doch in Gedanken ganz woanders.
Immer noch verspürte sie schauderhafte Nachwirkungen die unheimliche Begegnung, als auch den Dialog mit Nikolaj betreffend. Darüber hinaus ließ sie der intime Moment mit Nick nicht los. Die Erinnerung drängte sich immer wieder in den Vordergrund und löste jedes Mal aufs Neue körperliche Reaktionen aus. Nicht weniger intensiv als zuvor. Nick hatte sie geküsst. Nicht, dass er sie nicht schon öfter geküsst hatte. Doch hatte sich das bisher stets auf Wange und Stirn beschränkt. Außerdem waren sie nun Erwachsene und keine Kinder mehr. Josh war ihr offizieller Freund und derjenige, der ein Recht auf ihre Lippen hatte. Das wusste Nick. Er sollte es zumindest wissen. Wieso hatte er es also trotzdem getan? Und warum hatte sie so heftig darauf reagiert? So als ob ihr jemand einen Stromschlag verpasst hätte – der selbst jetzt noch warm und prickelnd durch ihren Körper lief? „Was für ein Casanova“, schoss es ihr durch den Kopf und ließ sie schmunzeln.
Zu Hause angekommen verfrachtete sie alle Einkäufe an ihren
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