Wenn Blau im Schwarz ertrinkt (Teil 1)
frische Abendluft entgegen.
„Wohin möchtest du?“
Sie sah in irritiert an. Ja, wohin eigentlich? Er hatte lediglich davon gesprochen, sie abzuholen. Wohin sie dann gingen, war nicht Bestandteil ihrer Unterhaltung gewesen. Sie wollte nicht unbedingt zurück in seine Wohnung. In einem Restaurant etwas zu essen wäre eine Idee, aber auf Menschentrubel hatte sie auch nicht wirklich Lust. Eigentlich wollte sie einfach nur ein bisschen Ruhe. „Bringst du mich zu mir nach Hause? Wir könnten uns ja was vom Italiener oder Chinesen bestellen?“
Er legte den Kopf schief. „Meinst du denn, Josh ist sonderlich begeistert, wenn du mit mir aufschlägst?“
Mit abwehrendem und leicht säuerlichem Tonfall sagte sie: „Das ist mir im Moment ziemlich egal, wenn ich ehrlich bin … Ich weiß nicht mal, ob er inzwischen wieder daheim aufgetaucht ist.“
Nikolaj sah sie fragend an. „Weswegen habt ihr euch eigentlich gestritten? War es so heftig, dass er dich gleich hat stehen lassen?“
Verdammt. Was sollte sie ihm jetzt sagen? Ein Teil der Wahrheit wäre eine gute Antwort und würde vielleicht auch ihr mulmiges Bauchgefühl etwas abschwächen. Sie holte tief Luft. „Als er von der Arbeit nach Hause gekommen ist, hat er mich schlafend und nass geschwitzt auf der Couch vorgefunden. Er hat versucht mich zu wecken, aber ich habe scheinbar ziemlich tief geschlafen, wild um mich geschlagen und ihm ein paar satte Ohrfeigen und Kratzer verpasst. Als ich endlich wach war, war er nicht sonderlich zum Scherzen aufgelegt. Er wollte wissen, was mit mir los ist. Was ich ihm … verheimliche. Ich hab gesagt, dass ich einfach nur einen üblen Traum hatte, der sich in unserem Wohnzimmer abgespielt hat. Daraufhin ist er wütend aus der Wohnung gerauscht.“
Nikolaj zog die Augenbrauen hoch. „Daraufhin ist er abgerauscht? Er hat dich allein sitzen lassen? So ein Armleuchter …“ Er grummelte irgendwas in sich hinein, ehe er fortfuhr: „Das war euer Streit? War das wirklich alles? Oder war da noch mehr?“
„Das war alles. Wenn man mal außer Acht lässt, dass ihm die Sache mit der bei dir verbrachten Nacht und deine charmante Wenigkeit noch schwer auf der Leber lagen. Die körperliche Gewalt war scheinbar nur der letzte Tropfen, der das Fass hat überlaufen lassen.“
„Immer noch kein Grund, dich nachts allein in der Wohnung sitzen zu lassen.“
Ein warmes Gefühl der Zuneigung überkam sie. Sie hatte vollkommen recht gehabt, was ihre Vermutung anging. Nick hätte sie in dieser Situation niemals allein sitzen lassen. Egal wie wütend er gewesen wäre oder wie sehr sie sich gestritten hätten. Nicht umsonst war er derjenige, an den sie Tag für Tag dachte, seit er in ihr Leben getreten war. Weil das zwischen ihnen – weil er – einfach etwas ganz Besonderes war. Auch, wenn es heute anders zwischen ihnen war, als vor acht Jahren. Zwar existierte noch immer die bekannte Verbundenheit und Nähe zwischen ihnen – auch, wenn sie das Gefühl hatte, dass Nikolaj sich verändert hatte. Doch darüber hinaus fühlte sie sich ihm nun noch auf andere Art und Weise verbunden und zu ihm hingezogen.
Vielleicht lag es daran, dass sie damals noch Kinder gewesen waren, heute älter und reifer waren und damit einfach anders empfanden und wahrnahmen? Vielleicht lag es auch daran, dass sie so lange voneinander getrennt gewesen waren? Was war er für sie?
Wer
war er für sie? Was genau war das zwischen ihnen?
„Was hast du denn geträumt?“
Sie blieb stehen und sah ihn einen Moment lang ziemlich verdattert an. „Wie …? Was …? Wovon ich geträumt habe?“
Sie schwieg, und wog ihre Antwort ab. Seit wann sie das machte, wusste sie nicht zu sagen. Vor allem Nick gegenüber. „In meinem Traum bin ich aufgewacht, weil ich ein lautes Geräusch gehört habe. Ich bin aufgestanden und wollte die Standleuchte anmachen, die aber nicht angegangen ist. Ich hab nach Josh geschrien, aber er hat nicht geantwortet. Ich war mir sicher, dass da jemand war. Irgendwas in der Dunkelheit hat sich bewegt. Mich hat ein schreckliches Gefühl überkommen. Bodenlos und fallend. Überall war nur Schwärze und ich glaube, dass ich eine Stimme gehört habe … Merkas Stimme.“
Nikolaj klappte der Mund auf.
Hastig sprach sie weiter, um ihrer Absicht, Nikolaj zumindest von dem Traum zu erzählen, treu zu bleiben. „Die Stimme hat gesagt, dass wir Menschen schwach und feige sind … Dass wir Heuchler sind und die Sensaten sich unseretwegen
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