Wenn Blau im Schwarz ertrinkt (Teil 1)
dann musste ich auch noch ins Krankenhaus, obwohl ich eigentlich nicht funktionstüchtig war, weil ich die Nacht so gut wie kein Auge zugetan hab. Deshalb hab ich den ganzen Tag Unmengen von Kaffee in mich hineingeschüttet, um meine Schicht zu überstehen. Die Angst, dass ich einen Patienten falsch behandle, war natürlich trotzdem da. Daher hab ich alles doppelt und dreifach geprüft. Ich bin also komplett übernächtigt, voller Koffein und mit einem Brummschädel bei dir aufgetaucht. Nach Hause zu Josh wollte ich nicht. Ich wollte einfach zu dir.“
Nikolaj kam näher an sie heran, umfasste ihr Gesicht und fixierte es. Würden ihre Augen sie verraten? Ihre Mimik?
Zu dem angespannten Ausdruck auf seinem Gesicht gesellte sich der feine Zug von … Enttäuschung? Er ließ ihr keine Zeit, sich klarer im Bezug darauf zu werden. Mit einer flüssigen Bewegung aus dem Bett entzog er sich ihr.
Ihr Magenraum verkrampfte sich. Was hatte er gesehen? Hatte er die Lüge in ihren Augen erkannt? Hatte sie sich etwa wieder auf die Lippe gebissen? Unwillkürlich strich sie sich mit den Fingerspitzen über den Mund. Sie wollte ihm die Wahrheit sagen. Doch sie konnte es einfach nicht. So sah sie ihm dabei zu, wie er die Rollläden ein Stück weit hochzog, Licht einströmen ließ und ohne ein weiteres Wort hinaus in den Wohnraum verschwand.
Sie hatte nichts Falsches oder Unrechtes getan. Sie war in Falsches und Unrechtes hineingestolpert. Wieso also war sie diejenige, die sich schuldig fühlte? Sollte sich nicht irgendjemand anderes schuldig fühlen?
Josh hatte sie nach ihrem Albtraum einfach mutterseelenallein sitzen lassen, ohne einen Gedanken an sie zu verschwenden. Das Krankenhaus hatte all ihre Einwände ob ihrer Einsatzbereitschaft schlichtweg unter den Teppich gekehrt. Und Nick. Nick hatte drei Menschen getötet. Warum verdammt noch mal war sie es, die sich schuldig fühlte?!
***
Sie blieb noch eine Weile im Bett und lauschte den Geräuschen der Kaffeemaschine, ehe sie Nikolaj nachfolgte. Er erschien ihr immer noch verstimmt. Der genaue Grund war ihr immer noch unklar.
In weitem Bogen ging sie um die Couch herum auf die Garderobe zu, griff in die Seitentasche ihres Mantels und zog ihr Handy heraus. Sieben verpasste Anrufe starrten ihr vorwurfsvoll vom Display entgegen. Einerseits hoffte sie, dass es Josh war. Andererseits war es ihr egal, wenn er es gewesen war. Doch die Anrufe waren nicht von Josh, sondern vom Krankenhaus.
Sie sah auf die Uhr. Es war kurz vor elf.
Sie fluchte laut. So gern sie immer an ihre Arbeit gegangen war, so sehr sträubte sich derzeit alles in ihr dagegen. Sie fühlte sich ihren Aufgaben nicht gewachsen und überdies hatte sie das Gefühl, dass ihr das Recht auf die Rettung von Leben im Moment nicht zustand. Wieso drehte sich die normale alltägliche Welt weiter, wenn doch ihre eigene gerade Kopf stand? Bisher hatte Nick ihre Welt bereichert, vervollständigt, sie im Gleichgewicht gehalten. Doch nun war er es, der sie aus den Fugen brachte.
Hastig schlüpfte sie in ihren Mantel und begann ihn zuzuknöpfen. „Ich müsste schon seit einer halben Ewigkeit im Krankenhaus sein. Wenn ich so weitermache, dauert es nicht mehr lange und ich bin meinen Job los.“ Sie verweilte mit der Hand auf dem Türgriff, unschlüssig und uneins darüber nun einfach zu gehen.
Nikolaj erleichterte ihr die Entscheidung. „Soll ich dich später vom Krankenhaus abholen?“
Eigentlich sehnte sie sich nach einem Moment für sich allein und ihre Gedanken. Doch sie wollte ihn nicht vor den Kopf stoßen. „Ja, das wäre schön. Ich sehe zu, dass ich um 16:30 Uhr Feierabend mache und abhaue. Warte doch in der Eingangshalle auf mich. Das ist weitaus angenehmer als draußen in der Kälte zu warten.“
Er nickte. „Ich werde da sein.“
Sie wandte sich zum Gehen, drehte sich dann abermals zu ihm um. „Nick …?“
„Ja?“
„Ich brauche dich in meinem Leben. Ich weiß nur noch nicht, wie ich mit all den Dingen, die du mitbringst, umgehen soll.“
Er schenkte ihr ein leichtes, jedoch sichtlich mühevolles Lächeln. „Ich weiß, Gweny. Ich weiß.“
Einen kurzen Augenblick lang sahen sie sich noch in die Augen. Dann drückte sie die Klinke durch, trat hinaus in den Flur und verschloss mit der Tür vorerst auch all die Fragen in ihrem Kopf hinter einer blickdichten Mauer.
***
Müde und niedergeschlagen schleppte sich Gwen durch die Flure Richtung Aufzug, um ins Erdgeschoss zu
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