Wenn Blau im Schwarz ertrinkt (Teil 1)
Beweis. Dabei wäre es oftmals wichtig, diesen unterschwelligen Gefühlen Gehör zu schenken und sie nicht bloß als irrationalen Humbug abzutun.“
Er hielt einen Augenblick lang inne. „Ich glaube nicht, dass du ein Mensch bist, der seine Gefühle und Empfindungen außer Acht lässt. Fang auch gar nicht erst damit an. Hast du mich verstanden?“
Sie stemmte sich mit den Handballen von seiner Brust aufwärts, sah auf ihn herab und sagte herausfordernd: „Was bitte, willst du mir damit sagen?“
„Nur, dass du deinem Gefühl trauen und es nicht ignorieren sollst. Du hast gesagt, du hättest das mit den beiden Kerlen neulich Nacht
geahnt
. Du bist sichtlich zu Eis gefroren, als du hier auf Merkas getroffen bist. Trau deinem Gefühl. Mehr will ich damit nicht sagen.“
Sie biss sich auf die Unterlippe. „Und wenn ich nicht weiß, was genau ich fühle? Was, wenn es zwei gegensätzliche Gefühle für den gleichen Nenner sind?“
„Du wirst wissen, welches das Entscheidende ist.“
Sie kniff die Augen zusammen. „Warum reden wir jetzt darüber? Über mein Gefühl? Mein Empfinden? Wenn du wissen willst, was ich gerade in Bezug auf dich fühle, dann frag mich einfach.“
Nikolaj drückte sie ins Kissen zurück, drehte sich zur Seite, stemmte seinen Kopf auf den linken Arm und sah sie nun von Augenhöhe zu Augenhöhe an. „Vielleicht … will ich es gar nicht wissen. Vielleicht will ich einfach nur, dass du meinen Rat beherzigst.“
Was er sagte, war nur die halbe Wahrheit. Es schien ihm unabstreitbar wichtig zu sein, dass sie diesen Rat beherzigte. Aber zeitgleich bedeuteten seine Worte noch etwas anderes. Doch sie konnte es nicht klar greifen. Wieder einmal. Das frustrierte sie ebenso, wie es sie enttäuschte.
„Wo ist die Frau?“
„Fort.“
„Das ist mir klar. Aber wohin fort?“
„Sie ist nicht mehr hier auf der Erde. Jedenfalls nicht direkt. Ich habe sie durch ein Portal in
unsere
Welt gebracht.“
Sie konnte sich denken, warum er sie dorthin gebracht hatte. Keine Leiche, keine Beweise. Die junge Frau würde nie ein normales Begräbnis bekommen. Ihre Familie würde nie erfahren, was genau mit ihr passiert war. Sie würde für immer als verschollen gelten und die Angehörigen würden ihr ganzes Leben in Unwissenheit verbringen.
Unwissenheit. Blieb sie nicht auf ewig eine nagende Ratte, die schmerzhaft jeden Tag ein Stück von einem abnagte? War sie in Wirklichkeit nicht viel schlimmer als die Wahrheit? Denn so schmerzhaft und kummervoll Wahrheit auch sein mochte: Sie ließ den Geist doch zumindest Ruhe finden.
„Warum hast du sie dorthin gebracht?“
Nikolajs Gesicht straffte sich etwas. „Ich dachte nicht, dass du sie nochmals sehen willst. Außerdem … hätte ich sie nicht fortgebracht, hätte ich sie irgendwo in einen Fluss werfen, im Wald vergraben oder an irgendeiner Ecke liegen lassen müssen. Irgendwann hätte man sie gefunden. Irgendwann wäre es in den Zeitungen und Nachrichten gekommen. Irgendwann hätte es mich eingeholt. Mir ist es lieber, wenn es das nicht tut …“
Sie wusste nicht, was sie darauf sagen sollte. Es war eine egoistische und kalte Antwort. Und es lag der Hauch von Schuld darin verborgen. Tat ihm leid, was er getan hatte? Tat es ihm leid, dass die Frau tot war? Empfand er Reue für seine Tat oder ließ es ihn kalt? Konnte er überhaupt Reue empfinden? Natürlich konnte sie ihn fragen. Aber sie wusste nicht, ob sie die Antwort wirklich hören wollte. Daher stellte sie die Frage nicht.
Dafür richtete Nikolaj eine an sie. „Was ist gestern eigentlich passiert? Du warst völlig aufgelöst, als du an meine Tür geklopft hast.“
Ihre Kehle schnürte sich zusammen. Durch die Ereignisse des Abends war Merkas ganz aus ihrem Sinn verdrängt worden. Nun, da Nikolaj es ansprach, kamen all seine vergifteten Worte zurück zu ihr. Sie war zu Nick geeilt, um mit ihm darüber zu sprechen, doch nun hatte sich die Situation geändert. Etwas war anders. Augenblicklich konnte sie nicht sagen, was dieses neuerliche Etwas war, aber sie hatte das deutliche Gefühl, ihm nichts mehr davon erzählen zu wollen.
Angesichts ihres verstörten Gesichtsausdrucks setzte Nikolaj äußerst drängend nach: „Was ist passiert?“
Die Lüge in ihrem Mund schmeckte extrem bitter. Viel bitterer, als die Lüge Josh gegenüber. „Ich habe überreagiert. Mein Nervenkostüm ist – gelinde ausgedrückt – ziemlich im Arsch. Ich hatte einen Streit mit Josh und
Weitere Kostenlose Bücher