Wenn Blau im Schwarz ertrinkt (Teil 1)
Hand und fuhr ihr über die Wange. „Lass meine Absichten die Meinigen sein. Alles, was dich zu interessieren hat, ist, was du zu tun hast. Spiel deine Rolle gut, dann bist du aus dem Schneider und hast deine Ruhe. Sieh den Verlust von Nikolaj einfach als unvermeidbaren Kollateralschaden an. Dafür bekommst du dein Leben zurück. Deinen Frieden. Deinen Schlaf. Die Leben der Menschen um dich herum.“
Sollte er die Abscheu in ihren Augen erkennen, so ließ er sich nichts anmerken oder es erregte ihn schlicht noch mehr.
„Also mein
Herz
: Spielst du mein Spiel mit – oder nicht?“
Was blieb ihr denn für eine Wahl?
Erneut strich er ihr mit dem Finger über die Wange, fing eine Träne auf und leckte sie mit der Zunge von seinem Finger. „Hmmm … schmeckt nach Ohnmacht und Verzweiflung.“
Dann erhob er sich grinsend und sagte geschäftig: „Ich denke, damit hätten wir alles geklärt. Obwohl … eine Frage habe ich noch. Wie kommt es, dass jemand wie du noch nicht das Weite gesucht hat? Wie kommt es, dass du immer noch bei Nikolaj bleibst? Nach dem, was er getan hat? Nach den Menschen, die er getötet hat? Teils vor deiner Nase? Wie kann jemand wie du damit leben?“
Sie hob den Kopf und sah in seine pechschwarzen Augen, denen jegliches Licht fehlte. „Ich erwarte nicht, dass jemand wie du das verstehen kann.“
VIERZEHN
Gwen legte den Weg nach Hause in einer Art Trance Gwen legte den Weg nach Hause in einer Art Trance zurück. Mit jedem Schritt schien sie einer Hinrichtung näher zu kommen, doch wusste sie nicht zu sagen, ob es ihre eigene oder die eines anderen war. Es war genau genommen auch egal. Jemand würde verletzt werden. Jemand würde leiden. Jemand würde verraten werden. Nicht nur jemand, sondern Nick.
Sie hatte keine Wahl – und doch wusste sie nicht, wie sie es übers Herz bringen sollte, die von ihr geforderte Tat zu vollbringen. Wie sollte sie Nick jemals glauben machen, dass sie ihn für ein Monster hielt, das sie verachtete und verabscheute? Er würde ihr ansehen können, dass es eine Lüge war, die zwar aus ihrem Mund, jedoch nicht von ihr kam. Doch er musste es glauben. Er musste die Lüge für wahr halten. Sie musste die Lüge zur Wahrheit machen. Sie konnte nicht zulassen, dass unschuldige Menschen bestraft wurden, nur weil sie egoistisch war. Nur, weil sie ihn nicht verlieren, ihn nicht derart verletzten wollte. Es stand außer Frage, dass sie das tun würde: Ihn verletzten. Mehr noch. Wenn sie ihre Rolle gut spielen sollte – was sie musste – würde er sich von ihr abwenden. Wie sollte er auch bleiben, wenn sie ihn so hinterging?
Ihr war speiübel und mehrmals überkam sie das Gefühl, dass all die Wut, Angst, Ohnmacht und der Kummer jeden Moment in einem ätzenden Strom aus ihrem Magen hervorbrechen würden, um sich zumindest auf diese Art und Weise Luft zu verschaffen. Trotz dessen, dass die Ursache damit nicht ansatzweise fortgewischt oder aufgelöst werden konnte.
Viel zu schnell sah sie sich dem alten Backsteingebäude gegenüberstehend. Verschwommen und schwankend sah es auf sie herab. Sie konnte nicht. Sie konnte es nicht tun. Aber sie musste es tun.
Mit Füßen, die die Last ihres Körpers nicht mehr tragen wollten, ging sie auf die Eingangstür zu, glitt in den Flur und setzte langsam und mit all ihrer Willenskraft einen Fuß vor den anderen die Stufen hinauf. Es schien ihr, als müsse sie gegen eine unsichtbare Mauer ankämpfen. Ihr dämmerte, dass sie selbst diese unsichtbare Mauer als Abbild ihrer Verzweiflung gegen sich stemmte.
Sie erreichte den fünften Stock und die Wohnungstür. Atemlos blieb sie davor stehen. Kein Geräusch drang zu ihr heraus. Womöglich war Nikolaj gar nicht da.
Mit bebender Hand fuhr sie den Schlüssel ins Loch und drehte ihn, bis es klackte. Ewig anmutende und schmerzende Herzschläge verweilte sie im Eingang, ehe sie zur Gänze eintrat und die Tür hinter sich schloss. Sie war allein.
Tränen wollten sich ihren Weg in die Freiheit bahnen, aber sie drängte sie zurück. Tränen und Trauer stand kein Raum zur Verfügung. Sie hatten keine Daseinsberechtigung. Verachtung und Hass hingegeben duften sich in der Öffentlichkeit suhlen und präsentieren, wie gefeierte und ersehnte Stars.
Sie verachtete Nikolaj.
Sie hasste ihn.
Sie wollte so schnell als möglich von ihm fort.
Er war ein Mörder.
Er war ein Monster.
Sie sprach die Worte immer und immer wieder. In Gedanken und leise vor sich
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