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Wenn das der Führer wüßte

Wenn das der Führer wüßte

Titel: Wenn das der Führer wüßte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Otto Basil
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ein Sturm auf den Laden verhindert werden.
    Es war Höllriegls Plan, auf Abschneiden über Braunlage, Illfeld, Nordhausen, das jetzt Kesselring hieß, und Kelbra den Kyffhäuser zu erreichen. Ein sonderliches („mulmiches“) Gefühl im Bauch – er hatte einen Moment lang an die Abzweigung nach Rottleberode gedacht und an das dort liegende Schloß der Eyckes. Ulla! Urplötzlich verspürte er wilde Sehnsucht, sie wiederzusehen – wenn auch nur aus der Ferne …
    Ein Kunststück, auf dem schmalen, zerfurchten Waldweg talab zu fahren, manchmal bedrohlich steil. Außerdem tränten ihm seit dem Vorfall im Villenhäuschen unablässig die Augen, in Hals und Nase empfand er ein Kratzen, als wäre die Luft voller Sand. Auch die tieferen Atemwege schienen angegriffen zu sein, die Bronchien schmerzten beim Atemholen, und im Mund hatte er einen widerwärtig süßlichen Geschmack. War eine Grippe oder derlei im Anzug? Nein, so fühlte er sich eben nicht, auch war dieser Zustand überfallsartig aufgetreten. Schon als er mit Axel talwärts wanderte, hatte er die Empfindung, daß seine Augen die Anpassungsfähigkeit eingebüßt hatten, er sah auf eine bestimmte mittlere Entfernung alles unscharf und dunkelviolett gerändert. Ein genaues Ins-Auge-Fassen sich bewegender Personen oder Dinge innerhalb dieses begrenzten Gesichtsfeldes war schwierig, es verstärkte nur den Tränenfluß. Jetzt, beim Chauffieren in dem unübersichtlichen Waldgelände, störte das besonders.
    Axel saß neben ihm, sogar der plumpe, grotesk häßliche Strahlenschutzanzug schmiegte sich in besonderer Weise dem Körper des Jungen an. Auf dem Fluchtweg nach Sauckelruh war Axel recht einsilbig gewesen. Er hatte nur etwas von einem „Meuch“ gesprochen, auch von „Ramäuken“; der „Inarteram“ hätte rechtzeitig die „Achteruh“ verständigen sollen. Er, Axel, wisse genau, daß bestimmte „Wissander“, ja ganze „Wissenalden“ geschlossen gegen den „Inarteram“ gewesen waren. Für die „Poricht“ – gemeint war die Reparatur – des „Idommel“ interessierte er sich sehr (er nannte es „gultern“), wie er überhaupt für alles, was mit „Wietan“ zusammenhing, große „Hingult“ zu haben schien. Den „Eigenulf“ Schicketanz kannte er gut, und dieser scherzte auch mit ihm. Es war beruhigend, der Knabenstimme zu lauschen, die noch kein Stimmwechsel gebrochen hatte. Und alle die hübschen fremdartigen Wörter!
    Höllriegl hatte Axel im Wald an der Hand geführt wie ein Kind, und diese väterliche Geste machte den Jungen glücklich. Ein beinah körperlich spürbarer Strom der Zuneigung verband die beiden Zufallsgefährten – den Mann, der in der illegalen HJ aufgewachsen war, und den Rabbinerssohn aus Schweden, dessen Sippe man mit Stumpf und Stiel ausgerottet hatte. Oft sah Höllriegl Axel verstohlen von der Seite an. Der nordische Reiz seines Gesichts verflüchtigte sich bei genauerer Prüfung, das Nordische war gelinde Täuschung, war Fassade – wie bei Ulla. Die Weichheit der Gesichtszüge, der üppige Schwung der Lippen, die dadurch bedingte tiefe Nasenlippenfalte, die kurze, griechisch geformte Nase mit den feinen, beweglichen Nüstern, die gut modellierte, niedrige Stirn, die dichten Wimpern (Wimpern wie ein Wald!) – das alles wirkte ungermanisch. Insgeheim, er war darin geübt, machte Höllriegl die Nasen- und Ohrenprobe, wie er sie in Rassenkunde gelernt hatte. Sie ergab kein klares Bild, weil bei Axel die Merkmale noch jugendlich waren. Am ehesten hätte man sagen können, daß sich hier Sephardisches mit Askenasischem kreuzte, wobei ein starker Einschlag des Nordisch-Hellen, vielleicht Baltischen, das jüdische Urgesicht verwischte. Axel hatte auch nicht jenen typischen „Judenblick“, wie er beim Rasse-Günther eingehend beschrieben ist. Wer weiß, wie viele Völker und Rassen sich in Axels Ahnenreihe gemischt hatten, um dieses Wesen zu erzeugen. (Immer mehr wehrte sich Höllriegl gegen den Gedanken, es mit einem Volljuden zu tun zu haben.)
    Von Zeit zu Zeit schenkte der Junge seinem Beschützer einen dankbaren Blick. Diese Augensterne waren reinster Azur, dazu das falbe Haar! In der menschlichen Schönheit, so kam es Höllriegl vor – und er spürte es mit schmerzlicher Andacht, wie bei Ulla –, lag ein tiefes Geheimnis, hier griff der Schöpfer direkt in die Genenbahnen ein – ein Gnadenakt, anders war es nicht zu denken. An den nordischen Lichtgestalten, denen nachzueifern man ihn gelehrt hatte, bewunderte er vor

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